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Anti-Pub

Dazu fällt mir noch folgende Geschichte ein, die sich vor etwa einem Jahr zugetragen haben soll, hier weitergegeben von Dorothea Hahn, Autorin der TAZ, in der Ausgabe vom 05.02.2004.

Die französische Bewegung »Anti-Pub« hat die Schnauze voll von Werbung. Und bekämpft sie, vor allem in der Pariser Metro. Aufhalten lässt sie sich von niemandem – auch nicht von der Polizei

Ihre Waffen sind Pinsel, Spraydosen und subversiver Esprit. Sie gehen zu Dutzenden, manchmal auch zu Hunderten in den Pariser Untergrund. Im Visier haben sie die „Dreimalvier“ – die 12 Quadratmeter großen Werbeflächen der Metro. Wenn eine ihrer Brigaden über eine Station hergefallen ist, strahlen neue Botschaften von den Wänden. Auf dem Schenkel einer Frau, die sich auf einem Eisschrank räkelt: „Unterwürfig bis zum Abwinken“. Auf den Muskelpaketen eines Mannes: „Demnächst kaufe ich mir ein paar Gramm Hirn“. Und quer über einen Traumstrand mit Palmen: „Ideal für Sozialhilfeempfänger“.

Seit vergangenem Herbst sind die „Anti-Pub“ – die GegnerInnen der Werbung – im Pariser Untergrund aktiv. Was sie tun, betrachten sie als „Ræsistance“ und als „zivilen Ungehorsam“ gegen den „Werbeterror“ – gegen die tausende von „Dreimalvier“-Flächen. „Vor der Werbung gibt es kein Entkommen. Wir sind ihr ausgeliefert. Wie Geiseln“, sagt der Familienvater Alexandre Baret, der „aus tiefer politischer Überzeugung“ zum Anti-Pub-Aktivisten geworden ist. Lange hat er versucht, mit legalen Mitteln gegen die „Werbeinvasion im öffentlichen Raum“ vorzugehen. Hat Petitionen organisiert und humorvolle Aktionen. „Das ist gescheitert“, muss er heute feststellen.

Die Botschaften, die die Anti-Pub-AktivistInnen hinterlassen, bringen viele PariserInnen zum Schmunzeln. Andere zum Nachdenken. In jedem Fall verschaffen sie der Werbung eine neue Aufmerksamkeit. Mal mit einem einzigen Wort wie „Sexiste“. Oft mit dem Satz: „Schnauze voll von Werbung“. Und nicht selten mit politischen Argumenten: „Boykott! Dieses Unternehmen lässt in Indien 25.000 kleine Kinder arbeiten“, stand kürzlich auf einem Poster für Teebeutel.

Die Anti-Pub-AktivistInnen sind mehrheitlich unter 30. Nur vereinzelt sind ältere unter ihnen. Sie stellen sich selbst als „Studenten, Arbeitslose, Künstler, Wissenschaftler, Lehrer und andere Bürger“ vor. Kurz: als repräsentative Gruppe der französischen Bevölkerung. Unter ihnen sind radikale Werbegegner. Aber auch solche wie der Mittzwanziger Ahmed Menguini, die „nichts gegen ein bisschen Werbung haben“. Sie verstehen sich ganz unterschiedlich: als Sponti, als Feministin, als GlobalisierungskritikerInnen oder als Teil einer „dadaistischen Volksbewegung“. Manche nehmen für sich in Anspruch, „Kinder des 21. April“ zu sein – Jugendliche also, die politisch durch das gute Abschneiden des Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen bei den Präsdientschaftswahlen im Frühling 2002 aufgerüttelt wurden.

Zentrale organisiert sind die Anti-Pubs nicht. Schon gar nicht offiziell. Bloß viele kleine Webseiten (bap.propagande.org, anti pub.net), auf denen sie ihre Aktionen diskutieren und Fotos zeigen, und eine zentrale Website (www.stopub.tk), die seit diesem Jahr zum Schutz vor der französischen Justiz auf dem südpazifischen Tokelau-Archipel registriert ist. Von dort aus erklärt ein gewisser „Robert Johnson“, mit dessen Namen sich auch viele Anti-Pub-AktivistInnen schmücken, dass Werbung „den öffentlichen Raum privatisiert“, dass sie „die Demokratie in eine Finanzokratie“ verwandle und dass die Aktion dagegen einem Recht entspringe: „dem Recht auf freie Meinungsäußerung“.

Schon Ende der 90er-Jahre gab es vereinzelt kleine Aktionen gegen die Werbung in Frankreich: Zerstörung von Plakatwänden, Aufrufe zu fernsehfreien oder einkaufsfreien Tagen und die Veröffentlichung von Pamphleten. Aber in die Breite ist die Anti-Pub-Bewegung erst im vergangenen November gegangen. Damals verteilten SchauspielerInnen auf dem Europäischen Sozialforum in Saint-Denis, Paris, Bobigny und Ivry Aufrufe zur „Ræsistance“. Binnen weniger Wochen gewannen sie hunderte AktivistInnen für ihre Sache. Erst in Paris. Inzwischen sind Anti-Pubs auch in mindestens 15 Orten der französischen Provinz aktiv. Und drehen inzwischen sogar eigene Propagandafilme.

In derselben rasanten Geschwindigkeit, wie die Anti-Pub-Bewegung herangewachsen ist, hat auch die Gegenseite mobilgemacht. An einem Abend Ende November stellte die Polizei die Personalien von mehr als 200 Anti-Pubs fest. Gegen 62 von ihnen wird sind jetzt wegen Sachbeschädigung ermittelt. Die Pariser Verkehrsbetriebe RATP und ihr Werbepartner Mætrobus, eine Filiale des französischen Konzerns Publicis, erstatteten Anzeige. Am 10. März kommen die 62 AktivistInnen in Paris vor Gericht. Die Gegenseite will sie stellvertretend für alle verantwortlich machen. Sie verlangt Schadenersatz in Höhe von 1 Million Euro. Sollten sie verurteilt werden, wären viele Anti-Pubs finanziell ruiniert. Ihre Bewegung wird das nicht unbedingt beeinträchtigen. Sie hat sich bereits verselbstständigt.