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The Knife

Mitte Mai, Zeit für einen kleinen Musik-Rückblick. Der Jahrhundert-Jahrgang aus dem letzten Jahr steckt mir noch im Magen, also, Bälle flach halten und hoffen, dass die ein oder andere Neuerscheinung jene Euphorie auszulösen vermag, die mich letztes Jahr gleich mehrmals umgehauen hatte. Straft mich Lügen, aber der ganz große Wurf blieb bisher aus. Hot Chip vielleicht? Die London Supergroup hat wahrscheinlich das Sommeralbum 2006 veröffentlicht. Titelstory in der Groove, Platte des Monats in der Spex, gute Abspielwerte in der Machtdose. Keine schlechten Referenzen für eine Band, die über ihren Underground-Status bisher nicht hinauskam. Aber so richtig klasse ist das Album dann auch nicht, will heißen: Wir haben es hier mit keinem BIG Player zu tun.
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine ganz andere Platte, »Silent Shout» nämlich von The Knife. Karin und Olof Dreijer, maskentragendes Geschwisterpaar aus Schweden, begeistern mich für etwas, was ich längst hinter mir gelassen habe: New Wave. Der Sound von The Knife ist eine Melange aus Dunkelheit und 80er-Jahre-Synthie-Pop, in seinen besten Momenten so unglaublich abgedreht, dass es mir die Sprache verschlägt, und sehr, sehr originell. In diesem Jahr gab’s nicht viele Songs, die besser ballern als »We share our mother’s health«. Du stirbst. Klasse: »Like a Pen« – hüpfender Robotrack zum tanzen. Auch klasse: »Silent Shout«, ihre erste Singleauskopplung. Wächst mit der Zeit. Mochte ich anfangs nicht so richtig, wird dann aber immer besser. Das Synthiegejaule macht wahnsinnig. Und ebenfalls klasse: »Na na na« für die sanfteren Augenblicke. In diesem Zusammenhang ruhig einen Blick auf ihre bisherigen Alben werfen. Da findet man »Heartbeats« von ihrem Album »Deep Cuts«. Toller Track, der übrigens von Josæ Gonzà¡lez brillant gecovert und vom dänischen Regisseur Nicolai Fuglsig genial in Szene gesetzt wurde. In dem Video hüpfen 250.000 verschiedenfarbige Flummis die Hügel von San Francisco hinunter. Dass der Clip eigentlich Werbung ist, kann man getrost ausblenden und tut kaum etwas zur Sache. Knifes Vorgängeralbum »Deep Cuts« ist nicht minder ausgefallen. Echte Neuentdeckung!

Sendung vom 09.03.06 – Radio X
01. Belle & Sebastian — Song for sunshine (Rough Trade)
02. The Knife — Silent Shout (Rabid Records/V2)
03. The Knife — We share our mother’s health (Rabid Records/V2)
04. Jimmy Edgar — Personal Information (Warp)
05. Azzido Da Bass & Johnny Blake — Lonely by your side (Luscious Sounds)
06. Tiga — Pleasure from the Bass (PIAS)
07. Coldcut — Man in a garage [Bonobo RMX] (Ninja Tune)
08. Caribou — Tits & Ass: The Great Canadian Weekend (The Leaf Label)
09. Hanne Hukkelberg — Ease (The Leaf Label)
10. Deckard — Noir Desire (Equinox Records)
11. Woog Riots — Commercial Suicide (What’s So Funny About)

Ping Pong

Nach elf Jahren Radioarbeit, zwei Welt- und zwei Europameisterschaften lässt die kreative Kraft allmählich nach: Dem Thema »Fußball« ein weiteres Mal Sendezeit zu widmen, macht beileibe keinen großen Sinn. Mal ganz abgesehen davon sind in den letzten vier Jahren keine nennenswerten Songs zum Thema veröffentlicht worden, und dass sich daran ausgerechnet bei der WM im eigenen Land etwas ändern wird, ist geradewegs auszuschließen (Patrice vielleicht?). Also was machen? Neue Themen müssen her. Neues Material. Interessante Aufgaben, an denen man wachsen kann, und davon gibt es einige. In der Regel verläuft das so, dass ich auf meinem Rechner Ordner anlege, die verschiedene Namen tragen. Jeder Name steht für ein Musikspezialthema. Da findet man beispielsweise einen Ordner zum Thema »Blockflöte«. Oder einen zum Thema Kinderchöre. Oder einen mit »Sportliedern«. In dem tummelt sich alles, was irgendwie sportlich klingt. Rainhard Fendrich findet sich da allerdings nicht. Freddie Mercury & Montserrat Caballæ auch nicht. Warum auch? Dafür findet man »Badminton Girl« von Fennesz, »Clubman« von Bul Bul oder »Sports Criminal« von Aavikko. Mit der Zeit – das kann Jahre dauern — ergeben sich Tendenzen, Schwerpunkte, dann nämlich, wenn sich die Materie verdichtet. Und ehe man sich versieht, gibt’s einen Unterordner mit einem neuen Thema. Ping Pong steht da dann drauf. In ihm: Lieder über Ping Pong.

Sendung vom 30.03.2006 – Radio X
01. Swayzak – Ping Pong (!K7)
02. Anti Pop Consortium – Ping Pong (Warp)
03. Autechre – Under BOAC (Warp)
04. The Divine Comedy – Note to self (Parlophone)
05. Can – Ping Pong (Marginal Talent)
06. Sensorama – Ping Pong (Ladomat)
07. Stereolab – Ping Pong (Elektra)
08. Ellen Allien — Down (Bpitch Control)
09. James Din A4 – o.T. (Esel)
10. Plastic Bertrand — Ping Pong (Attic)

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Choo Choo

Die 100%-igkeit, mit der sich der Erfolg der Arctic Monkeys vorhersagen lässt, ist verblüffend. Wenn sich selbst Typen wie ich wie 17-jährige benehmen, muss irgendwas schwer in Ordnung sein. Und in der Tat: »Choo Choo« oder das kongeniale »Wavin‘ Bye To The Train or The Bus« – vom »From the Ritz To The Rubble» mal ganz abgesehen — haben den Druck einer Äquatorwolke. Ich weiß ja nicht, was da draußen abgeht, fände es aber schwer in Ordnung, wenn da jetzt irgendjemand austickern würde auf die Musik der Arctic Monkeys. Hier drin ist jedenfalls der Teufel los. In den letzten fünf Wochen bescherten die vier Boys aus Sheffield dieser Seite Besucherrekorde. Kein Wunder, lag doch unser kleiner Aufschrei ausnahmsweise weit vor der Massenhysterie, die eine Titelstory, etwa im NME, auszulösen vermag. Die Geschichte der Arctic Monkeys ist auch die Geschichte des wieder erstarkten Webs mit seiner Gründerzeit-Renaissance. Vier Demotracks, die über ihre Homepage kostenlos zu beziehen waren, vermochten eine Popularität zu erzielen, von der andere Bands nur träumen. Einen Plattenvertrag gab es damals noch keinen, 2005. Die Community selbst schuf ihr nächstes großes Ding (eine freudige Entwicklung, die allenfalls von Clap Your Hands Say Yeah übertroffen wurde, die aus ihrem Appartement heraus und ohne Plattenvertrag 12.000 Alben verkauft haben). Die erste offizielle Single der Arctic Monkeys »I Bet You Look Good On The Dancefloor« schoss letzten Oktober ungefragt auf Platz 1 der UK-Charts. Und auf ihrer ersten Deutschland-Tour im November 2005 konnten alle bereits mitsingen, obwohl es die Songs bislang auf keiner Platte gibt. Das Netz ist Indie, keine Frage.

»Rockt schon um 5.32 Uhr an der S-Bahn F-Berkersheim«

Sendung vom 08.12.2005 – Radio X
01. Arctic Monkeys — Choo Choo (MP3)
02. Arctic Monkeys — From the Ritz to the rubble (MP3)
03. The Most Serene Republic — Proposition 61 (Arts & Crafts)
04. Ninja High School — Jam Band Death Cult (Tomlab)
05. dEUS — Stop-Start Nature (V2)
06. Au Revoir Simone — And sleep al mar (Moshi Moshi / V2)
07. Au Revoir Simone — Back in time (Moshi Moshi / V2)
08. Boards of Canada — Chromakey Dreamcoat (Warp)
09. Boards of Canada — Dayvan Cowboy (Warp)
10. Architecture In Helsinki — Nevereverdid (V2 / Rough Trade)
11. Architecture In Helsinki — Maybe you can owe me (V2 / Rough Trade)

Trend – Navigator

Jetzt hat’s doch nicht geklappt mit dem Besuch des Weihnachtskonzerts in Landau — zu weit, zu nass, zu kalt. Außerdem fand der echte Punk im Bett statt. Na ja, next time, next go. Als Nachtrag sei noch die Playlist veröffentlicht, die das nichtssagende Ergebnis einer zweistündigen Sendung mit und über Trend ist. Und Obacht geben, mit pflaumigen In-Bands darf man Fezer nicht kommen. Beim gegenseitigen Vorspielen von Lieblingstracks hielt sich seine Begeisterung für Art Brut oder die Moving Units bestenfalls in Grenzen. Warum auch nicht?
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Wechsel der Gezeiten

In den letzten Wochen hat sich bei mir nicht ohne Grund die Aufregung um all die Boygroups ein wenig gelegt, die den Sommer über Sommer waren. Es wird hässlich da draußen, jetzt wird geheult, z.B. mit Sufjan Stevens, der so trübsinnig gar nicht klingt, nur manchmal, und der im Juli sein bisher bestes, drittes Album veröffentlicht hat. Muss seinen Grund haben, dass ich jetzt erst drauf komme. Passt. Mit »Illinois« kommt man gut über den Winter. Bleiben Stevens noch 48 Alben, um sein angekündigtes Lebenswerk zu vollenden, und selbst der Arbeitseifer eines Genies wird ganz sicher nichts daran ändern, dass ich dann schon lange Tod bin (der Schätzung liegt ein Album pro Jahr zugrunde). Aber auch all die anderen Neo-New-Folk-Spezialisten punkten zurzeit kräftig (streng genommen ist Stevens ja ein Lambchopist). Allen voran Antony & The Johnsons. Stimmt, nicht gerade neu, dieses Album, trotzdem ist es an der Zeit, hier mal auf meine Gemütslage hinzuweisen, schließlich kommt Musik von Befindlichkeit, hier folgt das Tal dem Berg. Warum nur, frag ich mich, ist Musik so toll?

Sendung vom 10.11.2005 – Radio X
01. The Fall – Clasp Hands (Sanctuary/Rough Trade)
02. The Fall — Blindness (Sanctuary/Rough Trade)
04. Antony & The Johnsons — Hope there’s someone (Secretly Canadian)
05. CocoRosie – Noah’s Ark (Touch & Go)
06. Pinback — Fortress (Touch & Go)
07. Sufjan Stevens — Chicago (Rough Trade)
08. Sufjan Stevens — The Man of Metropolis… (Rough Trade)
09. Fat Freddy’s Drop — Hope (The Drop/Sonar Kollektiv)
10. Soulwax — NY Lipps ([PIAS])

Gary Wilson & andere

Whomadewho Munk, Headman, Mocky, Kamerakino, The Rammellzee, Hiltmeyer Inc.: So langsam mausert sich das Münchner Label Gomma mit ein bisschen gutem Willen zu dem gegenwärtig besten Label dieses Planeten. Und jetzt Whomadewho – eine dänische Rockgang, Tomas Hà¸ffding, Jeppe Kjellberg und Tomas Barfod, die unter ihren Kutten Glam, Disko und FunkPunk tragen. Hinzu kommen in geringen Mengen Folk, Country, Kuhglocke und Repetitives in jedweder Form. Scissor Sisters, The Rapture, die komplette Gomma-Posse und weiter hinten ESG, Bowie, P.I.L. und von mir aus auch Gang of Four haben es vorgemacht, jetzt sind Whomadewho an der Reihe. Sehr unaufgeregt, manchmal sogar nachdenklich, was da aus den Lautsprechern tönt. Immerzu einen Zentimeter vor dem großen Wumms, diesen ganz großen Momenten. Und das Namedropping lässt schon vermuten: Sehr abwechslungsreiches Album, das Whomadewho da veröffentlicht haben. Damit läuten sie die wahrscheinlich letzte Runde des großen Diskorock-Revivals ein. Mitnehmen!

Supersystem Supersystem’s Debüt »Always never again« ist in diesem Zusammenhang auch eine Erwähnung wert. Gerade die beiden Tracks »Miracle« und Tragedy sind großartig. Gitarrist Rafael Cohen hat seinen alten Bandnamen El Guapo an den Nagel gehängt, um sich musikalisch neu platzieren zu können. Zwar hört man ihnen ihre Dischord-Vergangenheit an, erkennbare Anknüpfungspunkte finden sich allerdings mit Chk Chk Chk und Enon auf ihrem neuen Label Touch & Go. Supersystem ist so ein typisches NY-Ding: trampolinartiges Rhythmusgebashe, krude Durchmischung von Disko und Rock, ffwd gespielt, zu jeder Zeit treibend und immer ein bisschen Indie. Kein ganz großes Album, dafür hat’s aber auf »Always never again« einige echte Hits. Sehr Radio, das alles.

Gary Wilson Ebenso wie die Songs von Gary Wilson, obwohl »Groovy Girls Make Love At The Beach« wenig mit Supersystem zu tun hat. 27 Jahre liegen zwischen dem Debütalbum »You Think You Really Know Me« (Eigenvertrieb/1977), das gerade 600 Mal gepresst wurde und trotzdem oder gerade deshalb Kultstatus genießt, und dem Nachfolger »Mary Had Brown Hair« (Stones Throw/2004). Zwischenzeitlich war Mr. Wilson sogar für ein paar Jahre komplett verschollen, woran selbst die Ermittlung eines Privatdetektivs nichts ändern konnte. Wahrscheinlich hätten wir auch nie mehr etwas von ihm zu hören bekommen, wären da nicht die vielen prominenten Fans gewesen, die ihm ordentlich Rückenwind verschafft haben. Die Musik Wilsons ist ein sonniges Gemisch aus Prince und Shuggie Otis, nicht ganz so viel Funk und kaum Psychedelic, dafür aber Pop, Jazz und Avantgarde. Viel Farfisa. Wiederentdeckung des Jahres!

Sendung vom 13.10.05 – Radio X
Supersystem — Miracle (Touch & Go)
Supersystem — Tragedy (Touch & Go)
Whomadewho — Satisfaction (Gomma)
Whomadewho — Space for rent (Gomma)
Headman — Upstart (Gomma)
Soulwax — NY Excuse [Tiga Mix] ([Pias])
Jackson And His Computer Band — Rock On (Warp)
Gary Wilson – Groovy Girls Make Love at the Beach (Stones Throw)
Skyrider — Masters of deception (Endemik)
The Magic Numbers — This love (EMI/Capitol)
The Dead 60s — Riot Radio (Sony/BMG)

Latentamt

Ich mag Großbritannien, ich mag auch die Briten, Kreidehaut und Sommersprossen, ihr Assogetue, Spaßprügeln, Hardcore-Pubismus und die Kreativität ihrer Subkulturen nebst Nähe zur Allgemeinheit. Mittlerweile kann ich sogar ihrem blöden Abweichlertum ein bisschen was abgewinnen – diese Inselaffen. Und das alles nur, weil sie wissen, wie man Musik macht. Art Brut, Kaiser Chiefs, Hard-Fi, The Rakes, The Dead 60s, Maximo Park, The Subways: Kann echt behaupten, dass ich dank der Musik dieser Bands einige schöne Augenblicke hatte, obgleich sich ihr subversives Potential dieser Tage Richtung Null bewegt. Immerhin: Eine Überwachungskamera als Covermotiv hat selbst den dümmsten Engländer endlich darauf gebracht, dass der Überwachungswahn der englischen Regierung orwellsches Ausmaß angenommen hat. Interessanter Meinungsbildungsprozess, den man da beobachten konnte. Mit dieser bescheidenen Ausbeute ist neun Jahre nach »Mainstream der Minderheiten« das vollendet worden, worauf Holert/Terkessidis damals hingewiesen haben: die Kampfbegriffe gegen das Establishment sind im Pop-England des Jahres 2005 komplett verschwunden zugunsten der Parole »We like success«. Und das ist neu: Es ist nicht mehr nur die Unterhaltungsindustrie, die diese Geschäftsgrundlage kultiviert hat. Diesmal wurden die entscheidenden Impulse von den Musikern gesetzt. Das muss man all diesen tollen Bands ankreiden, verübeln kann man es ihnen allerdings nicht. That’s what the English call Zeitgeist.
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