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Working Class Heroes

Arbeiterlieder – volle Bärte, Wolle, Klassenkampf, contra- und sozio-, Industriemaloche, Gewerkschaftsbünde, Antiästhetik, Protestsong, Kohle und Öl, Stahl und Eisen – die Assoziationskette reißt nicht ab. Widerspenstiges Songwriting, sprich: Volkslieder wider der kapitalistischen Ausbeutung haben in Deutschland wie in anderen Ländern eine lange Tradition. Besungen wurde der harte Arbeitsalltag, aber auch die psychische, soziale und politische Wirklichkeit der beherrschten Klasse wurden lyrisch erfasst: »Die Füße matt, schwarz im Gesicht – Steigen wir ans Tageslicht – Die Sonne blendet, sie scheint so hell – Sie scheint auf eine schlechte Welt.« (Ernst Busch: »Lied der Bergarbeiter«). Legendär ist auch Hans »Spott ist allmächtig« Scheibner mit seiner bissigen Äußerung zu frühindustrieller Produktionsromantik: »Ich mag so gern am Fließband stehn – es bleibt nie stehn und fließt so schön – und alles, was ich mies fand, zerfließt für mich am Fließband – so schön ich das und dies fand, am schönsten ist’s am Fließband.«

Das beliebteste Arbeiterlied ist und bleibt jedoch die Internationale. Die Geschichte: »Die Internationale entstand 1871 zur Zeit der Pariser Kommune. Sie wurde erst etwa 30 Jahre später auch außerhalb Frankreichs bekannt und in viele Sprachen übersetzt. Der Text ist dem Bürger Gustave Lefrancais, Mitglied der Kommune gewidmet, der als Sozialist 1851 Berufsverbot als Lehrer erhalten hatte.«. Ich hätte allerdings wirklich nichts dagegen, wenn sich bald ein Nachfolger finden lassen würde, auch wenn die traditionsgebundene Linke das ganz anders sieht. Hoffnug kommt aus dem Ausland. Bin überzeugt, dass die ein oder andere fremdländische Version durch ihren Exotismus der scheinbaren Erstarrung menschlicher Initiative einen Harken schlägt. Und überhaupt: Dass Kampflieder zugleich schlechte Lieder sind, zeigt die lange Liste elendiger Arbeiterlieder, die heutzutage dem Grauen beigeordnet werden müssen. Ohne musikalische Substanz und Klasse geht’s da oft gegen den Feind. Überarbeitung empfohlen!

Der große Melodiker Weill und sein Zuarbeiter Brecht, der famose 2-Achser kritischer Ausarbeitung menschlichen Missbehagens, dürfen in der Liste guter Songs natürlich ebenso wenig fehlen wie ihr amerikanisches Konterfei Woody Guthrie. Sein Country Western steht wie keine andere Musik für die amerikanische Working Class:

»Country western music is the white soul music of the American working class. It has served as the mouthpiece of rural and urban working class Americans since its birth early in the twentieth century following the nineteenth century industrial revolution. Springing from roots in Southern and Appalachian culture, it functions as a vehicle for conveying the hopes, dreams, yearnings and theological expression of a culture in transition. As working class Americans shed a geographically rooted agricultural existence to embrace a transplanted and sometimes transient urban lifestyle, country western music became the voice of nostalgia, wandering and wondering.«

Ihm die Stirn bieten können da allenfalls die kongenialen Les Robespierres, die neuerdings leider lieber mit einer Coverband, den Three Normal Beatles, durch die Gegend reisen. In dem Song »pecado original trabalho e propriedade« erzählt Sänger Ramcke von der Beziehung zwischen einem Vater (»die Arbeit«) und seiner Tochter (»das Eigentum«). Der Lohn für ihre engagierte Kapitalismuskritik sind Kommentare wie: »Ihr seid wie Brecht, aber immer wenn er schlecht ist – und das ist das Gute daran.« Brauchbare These, die leider nichts daran ändert, dass die Band vor gut fünf Jahren in der Versenkung verschwunden ist. Wer Ramcke kennt weiß, dass seine Zunge schneller ist als sein Sprachzentrum erlaubt. Am runden Tisch mit Ted Gaier, bringt dieses Interview Band und Profession in Erinnerung.

Kämpferisch zeigt sich auch die Dampfmaschine subkultureller Metaphorik. Die Goldenen Zitronen thematisieren in ihren Liedern wie kaum eine andere Band das Problem Arbeit. In ihrem Song »avance du millænaire« heißt’s prophetisch:

»Wie gesagt, es war das avance du millænaire. Man sagte, die Arbeit sei ausgestorben, sozusagen. Endlich hatte man sich von der tyrannischen Selbstlüge verabschiedet, es gäbe eine Lösung für die elementaren Probleme aller Menschen. In exakten Berechnungen hatte man festgestellt, dass man 80% aller Bevölkerung nicht mehr benötigte. Das im kleinen erprobte Experiment dieses brachliegende Material sich selbst zu überlassen wurde nun für halbe Kontinente, Kontinente in Staaten, Staaten in Städten, Städten in Staaten angewandt. Und es klappte vorzüglich. Die gegenseitige Reduzierung der Unnützen schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Vieles dabei war nicht schön anzusehen, aber man konnte darauf vertrauen, dass eine ordentliche Inflation von Bildern ihre Auslöschung genauso förderten wie das gänzliche Schweigen.«

Der Verdinglichung des Menschen haben sich unzählige Menschen zugewandt. Eifrige Jusos haben euch die bekanntesten Arbeiterlieder inklusive Sounddatei, Noten und Texte für’s Heimorgeln zusammengestellt — für den bevorstehenden Klassenkampf, von dem ich allerdings noch nichts spüre. Ach ja, die neue Epoche sollte sich eigentlich den Arbeitslosen widmen. Kennt jemand ein Arbeitslosenlied?

Sendung vom 30.07.2003
01. Hannes Wader – Die Internationale (Mercury)
02. John Lennon – Working Class Hero (Capitol)
03. Woody Guthrie – Pastures of plenty (Vanguard)
04. Hans Scheibner – Ich mag so gerne am Fließband stehen (Polydor)
05. Rote Rakete Öl – Ich mag so gerne am Fließband stehen (live Mitschnitt)
06. Lassie Singers – Wo bleibt der Mensch (Dragnet)
07. Elena Lange – Bourgeoises Leben (L’Age D’Or)
08. Ernst Busch – Lied der Bergarbeiter (Edition Barbarossa)
09. IFA Wartburg – Sorbisches Fischerlied (Plattenmeister)
10. Salaryman – My hands are always in water (City Slang)
11. Peter Licht – Wir sind jung und wir machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt (BMG)
12. Minutemen – Working men are pissed (SST)
13. Woody Guthrie – Grand coulee dam (Verlag Pläne)
14. ? – Sag mir (FDJ Hymne)
15. Woody Guthrie – Jackhammer John (Vanguard)
16. Les Robespierres – Pecado original trabalho e propriedade (Buback)
17. Les Robespierres – Mexico o E.Z.L.N. e voces (Fluffy Chair Records)
18. Die Goldenen Zitronen – Flimmern (Cooking Vinyl)
19. Die Goldenen Zitronen – Avance du millænaire (Cooking Vinyl)
20. Franz Josef Degenhardt – Sacco & Vanzetti (Polydor)
21. Bob Dylan – Subterranean Homesick Blues (CBS)
22. Bob Dylan – Maggie‘ Farm (CBS)
23. Combustible Edison – Surabaya Johnny [Kurt Weill] (City Slang/Sub Pop)
24. Angie Reed – I don’t do dirty work, sucka! (Chicks On Speed Records)
25. Brüder, zur Sonne, zur Freiheit (Verlag Pläne)

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2 Gedanken zu „Working Class Heroes“

  1. Ja, es gibt ein Arbeitslosenlied, das auch auf der CD „Völker hört die Signale“ der SPE veröffentlich wurde: Der Arbetlose-Marsch in der Version von Mordechai Gebirtig. Gespielt wird diese großartige Version von der Gruppe „Zupfgeigenhansel“. Angeblich gibt es von diesem Lied auch eine Version von Bert Brecht.
    Den Arbetlose-Marsch gibt’s auch im Internet.

    P.S.: Wäre recht dankbar, wenn Ihr mir eine mp3 von „Working Class hero“ und das Bergarbeiterlied zukommen lassen könntet.

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