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2015

Rokia Traoré – Né So

Rokia Traoré - Né So Rokia Traoré stammt aus Mali. Ihre Musik ist eine Verbeugung vor den Griots – malische Sänger, die die Tradition der Geschichtenerzähler pflegen und seit Jahrhunderten mündlich weitertragen.

Die besten Alben 2015 – Plätze 2


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Rolands No. 2:

Sufjan Stevens – Carrie & Lowell
(Asthmatic Kitty / Cargo Records)

Sufjan kehrt zurück. Erinnerungspolaroids aus den wenigen Kindheitssommern, in denen er seine Mutter besuchen durfte, die er kaum kannte. Musikalisch zu den frühen Alben: spartanische Instrumentierung, einfache Melodien. Simple Ausführung, wie’s scheint, aber so erst recht mit Wirkung. Wehmut und Trauer in aller Pein(lichkeit). Wie uncool. Wie wundervoll.

(Kein wirklich soundmäßig störungsfreies Video gefunden zum Album. Dann wenigstens ein Ausschnitt vom schönen Konzert, auf dem ich war:)


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Gregors No. 2:

Grandbrothers – Dilation
(Film Recordings)

Das präparierte Klavier, fast so alt wie das Klavierspiel selbst, bekommt mit den Grandbrothers die Gnade der späten Präparation. Dieses Geflecht aus altbekannten Klavierbearbeitern beginnt mit seinen Verästelungen weit vor John Cage, also in der Gegenwart: Hauschka und Niels Frahm sprießen aus dem gleichen Trieb. Brandt Brauer Frick mit ihrer Opulenz hängen ein Ast weiter. Und alle wachsen aus dem gleichen Stamm.

Im Zentrum der Grandbrothers steht das Piano, gespielt von Erol Sarp. Lukas Vogel steuert per Laptop eine komplexe Apparatur aus elektromagnetischen Hämmerchen, die mit dem Flügel verkabelt sind. Zum Beispiel mit der Pedalstange oder dem Steg, aber auch mit den Saiten und dem Resonanzboden. Im Ergebnis treffen da wunderbare Melodien (Klavier) auf hypnotische Loops und sphärische Soundschleifen (Elektronik). Und man muss Vogel zugute halten: Er lässt dem Grand Piano großen Raum. Wenn es so etwas wie Kaffeehausmusik gibt, dann ist »Dilation« der Kaffeesatz dazu. Bester Dünger. Jetzt hören und morgen wieder!


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Sebastians No. 2:

Low – One and Sixes
(Sub Pop / Cargo)

Unglaublich, aber wahr: „Low“, die schon seit Ewigkeiten existieren, waren mir bis vor kurzem nur vom Namen her bekannt! Und dann dieses Album, in das ich vornehmlich wegen des schicken Covers hineinhörte! Fernab von musikalischen Moden wird hier Song für Song das Beste aus Indie, Singer-Songwriter und Slowcore (blöde Auflistung, aber genau das fällt mir ein, wenn ich den Stil beschreiben soll) destilliert und zelebriert, was ich mir vorstellen kann. Zwölf durchweg emotional-ansprechende Songs, die textlich Wesentlichstes, was es zum Miteinanderleben zu sagen gibt, ausloten. Bitte unbedingt anhören!

Julia Kent – Asperities

Julia Kent - Asperities Cello-Monotonie und -Melancholie mit viel Drama. Tracktitel wie »Flag of No Country« und »Empty States« sprechen Bände. Antony and the Johnsons und Swans durften bereits von ihrem Können profitieren.

Die besten Alben 2015 – Plätze 3


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Rolands No. 3:

Kamasi Washington – The Epic
(Brainfeeder / Rough Trade)

Fragte man mich, welche Musik wohl übrig bliebe, bzw. fantasiere ich, was ich höre, wenn ich mal aus dem Alter raus bin, mich für neue Musik noch zu interessieren, würde es wahrscheinlich doch auf Jazz hinauslaufen. Ich bin gar nicht bewandert, mein Interesse ist wenig ausgereift und eng gefasst, geht vielleicht von Hard Bop bis etwa zur Mitte der 1960er Jahre. Tatsache aber ist, dass diese Jazzplatten sich so gar nicht abnutzen. Wenn gar nix mehr geht, die gehen immer.

Umso schöner natürlich, wenn da ein Dreistundenalbum rauskommt von Leuten, die ganz genau diesen Jazz machen, einfach, weil sie es können. Dass das Album seine Aufmerksamkeit bekam, liegt daran, dass die meisten Musiker rund um den bestimmenden Saxophonisten Kamasi Washington längst im Business als Studiomusiker oder Produzenten tätig sind, sonst aber eben HipHop usw. machen. Vielleicht gibts auch jedes Jahr einige vergleichbare neue Platten im Jazzregal, mag ja sein, das hier habe ich jedenfalls sehr genossen und wird wahrscheinlich ähnlich langzeitwirkend sein wie die anderen Klassiker aus beschriebener Kategorie.


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Gregors No. 3:

Jamie xx – In Colour
(Young Turks)

»In Colour« war das ganz große Ding. Eins für die Mainstream-Minderheit. Headliner-Tour am Rand der Gesellschaft. Sind wir sofort dabei. Deshalb die Drei für Jamie xx, dem Mann hinter The xx. Die Drei steht aber auch für dreimal so oft gehört wie andere Alben. Eine echte Wellness-Platte für diese kleinen Feelgood-Augenblicke im Leben und ähnlich schön ausproduziert wie »Elaenia« von Floating Points (nur nicht ganz so raffiniert, dafür mit Steeldrums). »In Colour« ist Farbe pur. Eine Tautologie, wohl war.

Trotzdem! So breit wie die Farbtabelle von RAL. Wer drauf achtet, hört, wie sich »In Colour« vom Gelben ins Gelbgrüne, Violette hin zu einem tiefen Stahlblau färbt. Dieses Farbenempfinden mit seinem warmen, rhythmischen, einwiegenden Gefühl der Behaglichkeit: Genau um dieses Empfinden geht es. Um sonst nichts.


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Sebastians No. 3:

Beach House – Depression Cherry
(Bella Union / Pias Coop / Rough Trade)

Von meiner berufsbedingten Möglichkeit, Musik bis zum Abwinken konsumieren zu können, profitierte dieses Jahr insbesondere die Band, die bei einem Machtdose-die- letzten-5-Jahre-Poll-Bandranking klar auf Platz 1 stünde.

Denn mit dem Wissen, dass mir Beachhouse-Songs bei den ersten Durchgängen zumeist banal erscheinen, dass es dann aber irgendwann den Augenblick gibt, wo mir genau diese Banalität kunstvoll erscheint bzw. sie mich mitreißt, konnte ich mir (un)getrost nach fünf Durchgängen im Urlaub („100 Euro wette ich darauf, dass mich diese Platte nicht mehr anmachen wird und Beach house damit für mich vorerst gestorben ist.“), noch fünf Durchgänge am heimischen Computer leisten, um beim elften Mal von dem vom medizinischen Institut der University of Baltimore derzeit erforschten Beachouse-Blues derartig gepackt zu werden, dass mich dieses Album bis in die Träume verfolgt.

Die besten Alben 2015 – Plätze 6 bis 4


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Rolands No. 6:

Beach House – Depression City
(Pias Coop / Bella Union / Rough Trade)

Beach House. Jaha, schooon wieder. Fast ist es mir selbst langweilig. Aber was willste machen. (Und dieses Jahr haben sie auch noch zwei Alben rausgebracht, be warned!)

Depression Cherry reduziert und konzentriert nochmal den sowieso stark reglementierten Beach-House-Sound, the Haiku of the Haiku – Traumwandeln ist auf der Stelle treten. Dieser Suppenwürfel gefiel dann auch den meisten wohl weniger, der wenigwöchige Nachfolger wurde meiner Wahrnehmung nach schon wieder mehr gefeiert. Ich aber mag es offenbar noch elegischer, die Synth- und Drummachine-Sounds noch billiger und alles so eingedampft, bis du die Knochen siehst / schmeckst. Könnte auf Dauer meine Lieblings-Beach House werden.


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Gregors No. 6:

Flanger – Lollopy Dripper
(Nonplace)

Das Wesen unserer Zeit: die Nervosität. Bei Flanger alias Atom™ & Burnt Friedman in eine Schleife gegossen. Zehn Jahre sind seit »Spirituals« vergangen und noch viel mehr seit ihrer Gründung 1997. Und nun »Lollopy Dripper«. Es verhält sich wie mit dem Igel. Nicht jeder, der kein Lebenszeichen von sich gibt, ist wirklich tot. Im Gegenteil. ADHS steht im Raum. Und Zuckungen am Auge und im Bein. Clicks und Cuts in Jazz-Texturen. Körperspannungen. Das komplette Zappelprogramm. Der akustische Kontrast dazu: Dub und Space und noch mehr Jazz. All das kulminiert zu einem Raum von wohlklingender Erhabenheit. Und es zeigt einmal mehr: Ein Leben ohne Musik ist möglich, aber nicht sinnvoll.


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Sebastians No. 6:

And The Golden Choir – Another half life
(Cargo)

Zugegeben: Tobias Siebert ist ein Womanizer und seine Texte erweisen sich – so weit ich sie verstehe – als nicht sonderlich hintersinnig. So konnte ich das Album auch getrost meinem vierzehnjährigen weiblichen Patenkind zum Geburtstag schenken (, was nicht heißt, dass sie nicht sehr schlau ist)! Aber abgesehen davon: In dieser Armut, welche melodramatische, süßschmerzliche Fülle!

Folkloristisch anmutende Instrumentenvielfalt (übrigens: alles selbst eingespielt) beschwören Bilder von archaischen Feuern herauf. Die Liedkompositionen sind ausgefeilt, teils erhaben und teils so eingänglich (z.B. „New Daily Dose“), dass ich mich frage, warum das keine Radiohits wurden. Das alles brachte einen Suchtfaktor mit sich, der einen Lebensabschnitt so ganz mit diesen Klangfarben durchtränkte, nämlich GOLDEN.


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Rolands No. 5:

Son Lux – Bones
(Caroline / Universal Music)

Prinzip Überraschung, auch diesmal. Und klappt, auch diesmal. (Lustigerweise habe ich auch einige Amazonrezensionen gelesen, die sich über die plötzlichen Brüche und Nichterwartbarkeiten gerade mokieren, nunja) – Das Überreiche, das bei den vorigen Platten für mich leicht mal zuviel sein konnte, ist jetzt auch einer klareren Struktur gewichen und stellenweise so aufgeräumt, dass die vorherige eher beiläufige Peter-Gabriel-Assoziation deutlicher sich aufdrängt. Das „Rundere“ soll auch daher kommen, dass Son Lux sich vom Einmannprojekt zur Dreimannband hinentwickelt hat, kann ich aber nicht wirklich beurteilen.

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Gregors No. 5:

Balthazar – Thin Walls
(Play It Again Sam / Pias Coop)

Diese Belgier, zerrissene Nation, Brutstätte des Terrorismus. Hier die Flamen, dort die Wallonen. Vier Sprachgebiete. Der Kinderschänder Dutroux. Und der Rechtspopulismus! Wie überall in Europa auf dem Vormarsch. Die Kreativität stört das wenig, trotzdem man sich daran stört. Man denke nur an die großartigen belgischen Filme der jüngsten Vergangenheit. Die belgische Mode. An den belgischen Fußball (mit Kreativspielern Mitfavorit auf den EM-Titel). Oder an Balthazar! Drittes Album. Ein absoluter Mädchentraum (schön, wenn’s so wäre).

Lässigkeit und Eleganz. Das Indierock-Quintett aus Gent demonstriert 2015 ein gewachsenes Selbstbewusstsein. Vier Jahre nach ihrer Geheimhymne »Throwing a Ball«. Gerade wegen Europas europafeindlicher Stimmung nicht wegzudenken aus der europäischen Musiklandschaft. United by Music!


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Sebastian No. 5:

Tocotronic – Tocotronic (Das rote Album)
(Vertigo / Universal)

Keine andere Band stand bereits schon viermal in meinem seit 2006 hier veröffentlichten Jahrespoll und es ist derzeit nicht absehbar, dass es mal einen Grund geben wird, dass sie nicht auch die nächsten zehn Jahre alle zwei bis drei Jahre hier zu finden ist. Liest man über Tocotronic, wird ja häufig über deren Stilwechsel reflektiert (vorvorletzte Platte: eher rockig, letzte Platte: Low-Fi, diese poppig usw.) und das Text-Konzept, das häufig den Titeln der Alben entsprach, als hintersinnig gelobt.

Das mag sein, dennoch klingen die Melodien für mich immer ähnlich und die Texte belehren mich seit jeher, dass das Private mit dem Politischen zu identifizieren ist oder so ähnlich. Statt eine andere Laudatio als die letzten Male auszuformulieren, bleibt mir daher nichts anders übrig, als festzustellen, dass „Das rote Album“ laut Playlist-Statistik, die im Übrigen nur bisweilen mit meinen Pollrängen übereinstimmt, von mir am fünfthäufigsten Mal in diesem Jahr gehört wurde und ich die Hälfte der Texte mitsingen kann.


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Rolands No. 4:

shy kids – Lofty!
(Eigenrelease)

Ein bisschen hochstaple ich hier ja schon rum, denn eigentlich bin ich mit Musikhören für den Machtdose Podcast schon ziemlich ausgelastet, so dass ich eigentlich nur zum hipsteren Dabeisein auch nach „regulären“ Veröffentlichungen schaue / höre, die meisten nur anskippe und einige wenige bleiben eben übrig und geben mit Glück eine Top10 (dieses Jahr war aber auch hier übervoll).

Egal, jedenfalls: die shy kids aus Toronto kommen übers Podcastrecherchieren rein, ihr Album ist CC-lizeniert und bei Bandcamp als pay-as-you-want zu haben – und es ist ein rundherum großartiges Album, das ich ohne jede Abstriche allen sehr ans Herz lege, möge es noch so große Vorbehalte geben wegen „gibts ja umsonst“ und „ist ja nicht relevant“ (und die Ohren mögen Euch abfallen, wenn Ihr tatsächlich ausschließlich so Musik bewertet).

Intelligenter Pop, den ich jetzt leicht mit einigen Bands vergleichen könnte, die auch hier in den vorjährigen Jahresrückblicken standen, was ich mir aber spare, denn die shy kids brauchen das überhaupt nicht. Ich freue mich jedenfalls daran, dass die Musik im Podcast locker mit allem mithält, was da sonst rumfleucht und besprochen wird.


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Gregors No. 4:

Floating Points – Elaenia
(Eglo/Pluto Records/Rough Trade)

Was Daniel Snaith (Caribou) für die Mathematik und Kieran Hebden (Four Tet) für die Computerwissenschaft, ist Sam Shepherd für die Neurowissenschaft: Eine Ausnahmeerscheinung seines Fachs. Natürlich ein Zufall, aber trotzdem bemerkenswert: Alle drei arbeiten auf dem gleichen Niveau, dem gleichen, herausragenden Produktionslevel. Schon die ersten Singles und EPs aus den Jahren 2009 – 2014 deuten an: hier bricht sich einer der talentiertesten Produzenten der Welt Bahn.

Mit der Königskrönung im Jahr 2015: »Elaenia«. Das Debütalbum durchläuft einen fortlaufenden Veränderungsprozess im Wirkungsbereich von Techno, Deep House, New-Jazz und Experiment. Trotzdem homogen im Klang und frei von Grenzen und Barrieren. Dafür hat Shepherd Unterstützung von Jazz-Schlagzeuger Tom Skinner, Leo Taylor (Leihdrummer für u.a. Adele, Hot Chip, Zongamin), Susumu Mukai (alias Zongamin) und der Geigerin Quian Wu bekommen. Groß!


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Sebastians No. 4:

Man without country – Maximum Entropy
(Pias Coop / Lost Ballon / Rough Trade)

Zur Information: „Man without country“ sind ein walisisches Duo, das trotz zwei herrlicher Alben noch nicht auf dem Machtdose-Plattenteller zu finden war. Traurig, traurig! Nach dem wundersamen „Foe“, das mich insbesondere wegen seiner heimelig widescreen-wimpigen Gesamtstimmung überzeugte, wartet nun „Maximum Entropy“ zudem noch mit größeren Gefühlsnuancen und einer Detailverliebtheit auf, die zur Folge hat, dass einige Songs sogar M83-mäßig zum Mitschunkeln anregen. Für mich das Electro-Pop-Album des Jahres!

Die besten Alben 2015 – Plätze 10 bis 7

Advent, Advent, Albencharts zum Jahresend. Diesmal wieder eingebracht in voller Teamstärke, also mit insgesamt drei Platzanweisern. Dass es ein reiches Jahr war, werden die Nennungen hoffentlich zeigen. Und wie immer: nicht vergessen, Eure eigenen zu nennen. Kommentare zu den Vorgestellten nehmen wir selbstverständlich auch gern entgegen.


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Rolands No. 10:

Vessels – Dilate
(Bias / Indigo)

Drittes Album von Vessels. Ich kannte sie vorher nicht, was vielleicht der Platzierung geholfen hat. Denn obwohl dieses Album als Abkehr von ihrem bisherigen, gemeinhin als „Postrock“ identifizierten Sound wahrgenommen wird, sehe ich da jetzt nach Anhören der vorigen Alben keine drastischen Änderungen. Es ist mehr Elektronik im Spiel, bewegt sich aber alles in dieselbe Richtung. Und da gibt es nur eine: immer geradeaus, im gefühlt immergleichen Tempo, das ich assoziativ mal mit der Sportart „Gehen“ in Verbindung bringen möchte.

In dieser fast schon sturen Zielgerichtetheit lädt die Musik zur Kontemplation ein, bietet zugleich aber noch genügend Reize, um nicht völlig spannungslos zu werden. Sowohl fürs Joggen als auch fürs konzentrierte Arbeiten zur Begleitung bestens geeignet und empfohlen.


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Gregors No. 10:

Jaakko Eino Kalevi – Naturally
(Domino / Weird World)

Langes Haar und glatte Haut im Gesicht – Jaakko Eino Kalevi ist nicht gerade der Prototyp eines Musikers aus dem Jahr 2015. Ist der Bühnen- und Hauptstadtvollbart etwa ein Auslaufmodell? Sein hübsches, blasses Äußeres, eigentlich die perfekte Voraussetzung für eine Modelkarriere bei Fair Organic, hat ihn trotzdem nicht daran gehindert, als Straßenbahnfahrer für einen bekannten finnischen Verkehrsbetrieb zu arbeiten.

Was ihm da tagtäglich in der Frontscheibe begegnet ist, war womöglich so unaufgeregt wie die Musik, die sich auf »Naturally« findet: Die Vorstufe zu dem, was gemeinhin als Entspannung betrachtet wird. Ganz unaufgeregt melodiös. Mit wachem Verstand. Am Puls der Stadt. Als Vorgeschmack auf sein Debütalbum veröffentlichte Weird World 2014 die EP »Dreamzone«. Als Appetizer vorweg sozusagen. Inspiration für seine Songtexte holt sich der Sänger übrigens auch aus Zeichentrickserien und Online-Foren.


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Sebastians No. 10:

Max Richter – Sleep
(Deutsche Grammophon / Universal)

Rein äußerlich erinnert Max Richters „Sleep“-Projekt an Andy Warhols gleich betitelten Film aus dem Jahre 1964. In diesem lässt sich etwas über fünf Stunden ein schlafender Mann bestaunen, während Max Richters Director‘s Cut der musikalischen Variante uns wiederum geschlagene achteinhalb Stunden in den Bann schlägt. Vergleichbar ist aber letztlich nur die – gemessen an üblichen Rezeptionsgewohnheiten – Radikalität, mit der dem flotten Kunstgenuss die Länge des Schlafs in den Weg stellt wird.

Denn bei der musikalischen Version handelt es sich nicht um einen Schlaf, sondern um den Weg dahin und um den auszuhalten, muss man schon extrem wach sein. Daher ist Max Richters „Sleep“ wohl eher mit Saties Idee, Musik als Möbel aufzufassen („Musique d’ameublement“), zu vergleichen. In diesen um 1920 verfassten fünf Werken für Salonorchester handelt es sich um kurze Stücke, die beständig wiederholt werden sollen. Wie Möbel lenken sie nicht weiter vom Alltag ab, aber bereichern durchaus den Wohnraum.

Will man „Sleep“ angemessen rezipieren, ist es notwendig, etwa acht Stunden, bevor man ins Bett gehen möchte, die leider nur digital erhältliche Aufnahme hochzufahren, was wohl in der Regel auch nur in den eigenen vier Wänden möglich ist. Ablenken darf man sich nicht lassen, da man ja sonst nicht einschlafen würde. Andererseits ist „Sleep“ nicht nur als sehr langes Wiegenlied aufzufassen, sondern auch als Versuch, die Schönheit des Schlafs in den Tag zu retten. Und genau deshalb habe ich mich in Max Richters aus über 30 verschiedenen Variationen zusammengesetztes Klangbett kurz nach der Veröffentlichung mehrmals gerne hineinsinken lassen!


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Rolands No. 9:

Jaala – Hard Hold
(Wondercore Island)

Relativ frisch reingekommen und für mich auch insgesamt sehr frisch ist diese australische Band.

Vielleicht, weil die Stimme der Leadsängerin mich unter anderem auch an Joanna Newsom erinnert, die Musik aber eben nicht zum Kunstlied sich hinentwickelt (ich darf schon mal spoilern: Newsoms Album ist nicht in meinen Top 10 dabei), sondern die Widerborstigkeit bewahrt und sehr gut zur von zahlreichen Tempowechseln geprägten Rumpelmusik passt. Wenn schon Katzenjammer, dann aber richtig und mit Lust am Schreien und Pauken.


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Gregors No. 9:

Leftfield – Alternative Light Source
(Infectious)

Mit »Leftism« veröffentlichen Leftfield 1995 ein wegweisendes Elektro-Album, das mit Gastbeiträgen von u.a. John Lydon (Public Image Ltd.), Toni Halliday und Djum Djum Berimbou Geschichte schreibt. Viele Jahre sind seither vergangen und es hätten noch viel mehr werden können, wenn da nicht dieses schmerzhafte Druckgefühl in der Brust gewesen wäre. Ja, ja, wenn die Psyche aufs Herz schlägt. Vermutlich stand Neil Barnes sowieso in jeder Minute der letzten 20 Jahre mit halbem Fuß auf einer Ganztonleiter.

»Alternative Light Source« ist zumindest mehr als das Wissen um die eigene Vergangenheit. Verfall ist hauptsächlich ein biologischer und die präventive Konservierung der eigenen Kreativität – so die These – eine mentale und somit abrufbar. Mit (wie in Barnes’ Fall) oder ohne Depression. Starring Tunde Adebimpe (TV On The Radio) und Jason Williamson of Sleaford Mod


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Sebastian No. 9:

Tame Impala – Currents
(Caroline / Universal)

Während ich „Innerspeaker“ (2010) samt des betörenden Covers liebte, das Album aber erst kurz nach dem damaligen Jahrespoll entdeckte, war mir wiederum der Hype um das m.E. langweiligere zweite Album nicht ganz verständlich. Umso mehr erfreute mich, als mir mit „Currents“ ein Tame-Impala-Album begegnete, das in gewisser Weise die Versöhnung von analogem Psychedelic-Rock und Digitalpop darstellt und auf Anhieb zu meinem Sommeralbum des Jahres avancierte.

Auch auf Machtdose las ich einen Tag nach meiner Erstrezeption unter „Plattenteller“ über ebendieses: „Gerade so genial. Gehört neben Zahnpasta, Badeanzug und Sonnenhut in jeden gut sortierten Reisekoffer. Album of the year?“ Einmal mehr war ich erstaunt, wie bisweilen das, was dort zu lesen ist, inhaltlich mit dem, was in meinen Kopf spukt, zu identifizieren ist …


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Rolands No. 8:

Georgia – Georgia
(Domino / Goodtogo)

Georgia Barnes ist Georgia – und zwar komplett. Alles selbst eingespielt und produziert in zwei Jahren. In eine Familie hineingeboren, die selbst fest installiert ist in der Londoner Clubszene, mit 8 Schlagzeug geschenkt bekommen, mit Anfang 20 bereits auf mehreren Veröffentlichungen mitgedrummt, ins Studio gezogen und so ungefähr jeden Beat aufgehoben und verarbeitet, der grad rumlief.

Und so gibt das Album tatsächlich einen recht guten Querschnitt dessen, was in letzter Zeit so Grime, UK Garage und andere Beatgenres auf der Schippe hatten. Kann man auch ein bisschen streberhaft finden, weiß aber zu unterhalten und ist sehr abwechslungsreich, von düster bis Haudrauf bis elektroballadesk.


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Gregors No. 8:

Gengahr – A Dream Outside
(Liberator Music)

Passend zum Jahrhundertsommer: ein Melodiengewitter von achtbarer Stärke. Hätte ich so nicht unbedingt in Nord-London vermutet. Im Ergebnis aber regenfreie Entladungsenergie. In einer schnörkellosen Begriffswelt nennt man das Indierock, wendungsreich im Old-School-Algorithmus. Wie schön das klingt, wenn Eure Majestät, der Produzent, auf gängige Politurpasten verzichtet, zeigt sich bei »A Dream Outside« in seiner vollen Länge. Das Ungeschliffene, das Tame Impala nie haben werden und Pavement berühmt gemacht hat.

Zeigt sich auch im Instrumental »Dark Star« (entspricht in der Analogie dem »Crooked Rain, Crooked Rain«-Klassiker »5-4=Unity«). Das eine Kult, das andere 2015. Zusammengefasst: Bekanntermaßen ist der engste Nachbar der Melodie die Euphorie (und die macht manchmal einfach nur Sinn, so für den Augenblick).


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Sebastians No. 8:

Deerhunter – Fading Frontier
(4AD / Beggars / Indigo)

Gäbe es einen Wunderapparat, der die Musik meiner Lieblingsbands über Jahre hinweg analysiert und daraus eine eigenständige Platte synthetisch herstellt, vielleicht käme dabei der „Deerhunter“-Sound heraus. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – haben mich deren Veröffentlichungen (von der Single „Helicopter“ abgesehen) nie gänzlich überzeugt, da mein Geist zwar stets willig, indes mein Fleisch in dem Sinne schwach war, als sich keine Euphorie einstellte.

Damit ist jetzt aber ein für alle Mal Schluss, denn auf „Fading Frontier“ ist eine Deerhunter-Leistungshow zu erleben, die bei allem eigensinnigen Getüftel und Geflirre insgesamt zu einem atmosphärischen Dreampop gelangt, der genau das erreicht, was ich zuvor vermisst habe.

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Rolands No. 7:

Howling – Sacred Ground
(Monkeytown / Rough Trade)

Der Melancholie nicht abgeneigter, trotzdem schwebendleichter Pop meets Club. Wie ich finde, sowieso eine der besten Kombinationen, vorausgesetzt, es gelingt. Nicht von ungefähr fühle ich mich an Moderat erinnert. Es singt Ry Cumings, der sonst bei der Band The Acid vorsteht, es spielt Felix Wiedemann, sonst Teil des Houseduos Âme. Es pluckert warm, es wird schönstens falsettiert. Fürs abendliche Beisichsein, ohne die Ausgehtauglichkeit zu verlieren.


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Gregors No. 7:

Lauer – Borndom
(Permanent Vacation)

»Borndom« ist nach »Phillips« der zweite große Satz Melodien des Frankfurter Elektro-Allrounders (»The melody man from the outback of Frankfurt«). Da regt sich wieder und wieder die Hand zum Applaus (maßvoll übertrieben). Lauer ist kein Veränderer, sondern Teil eines bewährten Systems. Seine durchtriebene Formel: 80s Synth-Pop mit leicht verhangenem New Wave. Italo. House. Borndom ist selbstverständlich weder boring noch langweilig. Borndom ist die Jagd nach dem Erlebnis (oder für den Drinnen-Typ: dem Erlebten). Der Blick, vom Hochstand aus, auf den Funkenwald. Ein veritabler Nummer-eins-Hit findet sich auch: »ESC« (feat. Jasnau). Wie der Name schon sagt: der Rausschmeißer des Albums (und ein Clubnachtbeschließer). Das Cover ist übrigens Programm: Achterbahnspaß pur.


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Sebastians No. 7:

The Maccabees – Marks to prove it
(Fiction / Caroline / Universal)

Nie hätte ich gedacht, dass eine „The“-Band, die zudem noch gefühlt im 2005er-Fahrwasser mitschwomm, noch einmal in einen meiner Polls aufgenommen wird. Schlimm eigentlich, wie sehr auch das eigene Konsumverhalten mit der Mode mitschwingt! Aufgrund einer lobenden Besprechung im „Spex“ habe ich mich aber doch entschieden, dem Album eine Chance zu geben, und schon mit dem ersten Durchgang wurde klar: 2005 hin oder her (die erste Maccabees-Platte stammt übrigens aus dem Jahre 2007), hier entlädt sich pure Lebensfreude. Wildfremde Menschen fallen sich in die Arme und das getragen von dieser wunderbaren Stimme, die dafür sorgt, dass das Ganze nicht peinlich-pathetisch, sondern schlichtweg erhaben erscheint. Daher bitte ich alle 2005-nicht-mehr-uptodate-Finder: Prüft dieses Überlebenszeichen!


Interview bei Hyperradio

Anlässlich des 10jährigen Podcastbestehens wurde ich von HyperR@dio, einer audio-visuellen Radioshow rund um Netlabels und Netzmusik, interviewt und belobhudelt :). Könnt Ihr Euch dort anhören….