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Branchentalk

Deutsches in der Musik sowie die Qualität/Verantwortung des Radios/Fernsehens sind momentan heiß (respektive lauwarm) diskutierte Themen – auch in den Frankfurter Hörfunkgesprächen…

Mit Haken und Ködern – Bei den Frankfurter Hörfunkgesprächen diskutierte die Branche über Musik im Radio
VON KLAUS WALTER

Viel Anglerlatein gab’s zu hören. „Private und öffentlich-rechtliche Programme fischen in unterschiedlichen Teichen“, erklärte Dr. Hartmut Spiesecke vom Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft. Mit dieser Begründung will die Musikindustrie die öffentlich-rechtlichen Radios nötigen, eine Quote für deutschsprachige Musik einzuführen, schließlich kassieren sie Gebühren. Die derart Bedrängten befürchten Hörereinbußen und verteidigen ihre Programmhoheit.

Davon könnten die Privatradios profitieren, doch deren Schadenfreude bleibt klammheimlich, denn sie müssten damit rechnen, über kurz oder lang selbst in die Quotenpflicht genommen zu werden. So war man sich einig im Nein zur Quote. Außer Dr. Hartmut Spiesecke, dem wir einen denkwürdigen Satz verdanken: „Man kann im Leben Entscheidungen auch ohne Marktforschung treffen, beispielsweise in der Ehe.“

Das sieht John Mönninghoff vermutlich anders. Auch der vielgebuchte Berater der Hamburger Research-Firma Coleman, eine Art McKinsey der Radiolandschaft, erging sich in marktradikalem Anglerlatein: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Der Köder ist die Musik. Mit ihr bindet man die Kundschaft ans Programm. Bindung entsteht durch Vertrautheit, mit dreihundert Songs wird man schneller vertraut als mit fünfhundert. Folglich ist bei den Massenwellen die Reduzierung des Repertoires die wichtigste Aufgabe der Musikredakteure. Deren Berufsbild hat sich radikal gewandelt – weg vom kreativen Programmgestalter mit künstlerischen Freiheiten, hin zum Rotations-Controller zur Vermeidung von Ausschaltimpulsen.

Widerkäuende Hörer

„Ausschaltimpuls“ ist eine pseudowissenschaftliche Umschreibung für: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Nach dieser Devise wird dem widerkäuenden Hörer ausschließlich Musik zugemutet, die er schon 1000 Mal schmerzfrei gekaut, geschluckt und verdaut hat. Der Köder muss dem Fisch schmecken.

Auch Michael Koch von der Medienforschung des Bayerischen Rundfunks garnierte seine Powerpoint-Performance mit nautischer Metaphorik: Einen zehn bis zwölf Sekunden langen Haken spiele man seinen Testpersonen vor. Der Hook ist ein Angelhaken, aber auch die Hookline genannte Passage eines Popsongs, die wehrlose Hörerinnen idealerweise für immer an den Sender hakt. Eine musikalische Verwandte der Catchphrase, die wiederum eine Cousine des Claims ist. Ohne Claim kommt heute kein Radio mehr aus. Und kein Anglerverein.

Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Diese in ihrem nachgerade hemingwayschen Purismus bestechende Weisheit liegt einem Großteil der Radioprogramme zu Grunde, die wir täglich hören. 1500 Testpersonen zwischen 14 und 70 werden angerufen. Nach welchen Kriterien? „Repräsentativ“, sagt der Medienforscher. Werden auch Handynutzer angerufen? „Nein.“ Wie repräsentativ ist eine Umfrage, die ausschließlich Festnetz-Telefone abfragt? Ebenso gut hätte man die Befragten per Rauchzeichen um Rück-Rauchzeichen bitten können. Am Telefon werden Hooklines von maximal 12 Sekunden Länge vorgespielt, die Antworten entscheiden über das Schicksal eines Songs: „Ja, äh, kenn‘ ich, find‘ ich gut, … nö, äh, kenn‘ ich nicht, find‘ ich blöd.“ Auf dieser Basis wird Musik programmiert, die zur Werbung passt: „Ich bin doch nicht blöd“.

Für die Einschaltquote sind Zielgruppen wie „klassisch Kulturinteressierte“ oder die „neuen Kulturinteressierten“ mangels Masse nicht interessant. Wichtig ist die naturgemäß größere Gruppe der so genannten „Unauffälligen“. Die verfügen, wie schon der Name sagt, über keine besonderen Kennzeichen. Früher nannte man sie die schweigende Mehrheit. Sie werden gelockt mit einer Musikauswahl unterhalb der Auffälligkeitsgrenze: Elton John, Tina Turner, Joe Cocker, Phil Collins und ihre namentlich unauffälligen Klone.

Provozierte Ausschaltimpulse

Nun könnte man ja verstehen, dass ein grunzender Tom Waits oder eine kreischende Björk im Tagesprogramm massenhafte Ausschaltimpulse bei Bürostuhlpotatoes provozieren. Dafür hat der liebe Gott den Abend erfunden. Wenn die unauffälligen Massen einen weiteren unauffälligen Tag ihres unauffälligen Lebens vor dem Fernseher wegdösen, dann könnte doch die Zeit kommen für Menschen, die Musik nicht nur unter ausschaltimpulsvermeidungsstrategischen Gesichtspunkten hören.

Solche Menschen werden von den Privaten nicht, von den öffentlich-rechtlichen Programmen meist in Nacht und Nische bedient. Aber es gibt Ausnahmen. Ausgerechnet der BR leistet sich mit dem „Zündfunk“ seit Jahrzehnten ein anspruchsvolles, preisgekröntes Popkulturprogramm – stundenlang, täglich! Peter Radszuhn, Musikchef beim RBB setzt auf „Alternative statt Anpassung“. „Fritz“ und „Radio Eins“ versorgen Berlin und Brandenburg mit musikjournalistischer Qualität. Die Quote stimmt trotzdem.

Ähnliches gilt für Eins Live beim WDR. Dort finden musikalische Spezialangebote nach 20 Uhr ein breites Publikum. Die Frage Einschaltprogramm oder Begleitprogramm gerät zum Glaubenskrieg, vor allem am Abend. Beim Hessischen Rundfunk geht der Trend zum Nebenbeihören. Hier wurde das „Informationsradio“ HR 1 zum „Tagesbegleiter“ umgebaut, die abendliche Sendung „Schwarzweiß – Musik in Farbe“ durch eine Rund-um-die-Uhr-Rotation ersetzt. Auf die „gefühlvolle“ und „musikgestützte“ Vermittlung des Wortes lege man besonderen Wert, erklärte Wellenchef Christian Gramsch bei der abschließenden Diskussion und fügte hinzu: „Musik spielt bei uns die zweite Geige.“ Eine hübsche Metapher.

(Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004 – erschienen am 04.12.2004)

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