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Plattenseptember

Wenn man sich mal überlegt, welche abgenutzten Musikgenres sich einer fundamentalen Überarbeitung unterziehen lassen müssten, die Liste wäre lang, so lang, dass ein Maschinenwärter als Referenzprojekt vielleicht noch Sinustöne programmieren könnte. Der elektronischen Musik, oder vielmehr ihren Schöpfern, obliegt nicht erst seit gestern die ehrenvolle Aufgabe, die Gebrauchsspuren der letzten 100 Jahre zu beseitigen, mit der Tradition zu brechen und neu zu zitieren. Das ist harte, nicht enden wollende Arbeit, abgeschöpft aus dem Tonarchiv der still vor sich hintreibenden Vergangenheit. Poto & Cabengo ist ein Duett, das diesen Verwaltungsposten übernommen hat, das Spiel mit unseren Gewohnheiten aber nicht aus den Augen verliert. Ihre Musik ist von Country und Folk beeinflusst, von den Talking Heads ebenso wie von Velvet Underground. Ihre Musik ist weder verkrampft noch schnöde Kopie. Dafür sorgt die Elektronik. Und das Talent. Beides ist ausreichend vorhanden und in diversen anderen Projekten bereits erprobt (vgl. Kandis/Karaoke Kalk 009). Mit ihrem gleichnamigen Album haben die beiden etwas kreiert, das allen Verweisen und Zitaten zum Trotz ausschließlich für sich steht. Darin ihre Kunst zu sehen, ist ein Fehler nicht.

Eine Kunst, die bei Mouse On Mars die Reife eines sardischen Ziegenkäses bekommen hat. Ihr Jubiläumsangebot (10 Jahre Mouse On Mars) heißt Radical Connector und schließt da an, wo Andi Toma und Jan St. Werner zuletzt aufgehört haben, nämlich am kompromisslosen, radikalen Umgang mit Melodien, Rhythmen und Effekten. Ihre Musik springt auch diesmal aus dem körpereigenen Chemiebaukasten, eruptive Molekülmasse, die sich ihren Weg geradewegs durch ihre Schädeldecke zu bahnen scheint. Dort angekommen, wird daraus ein polymeres Popmonster, das unnachgiebig zappelt und schreit, das aber auch lieb sein kann. »Radical Connector« ist ein makelloser Brain-Fuck, jeder Ton ist verbindlich, jedes Geräusch Teil einer Idee, jede Melodie eine Geschichte. MoM bleiben damit einzigartig. Und, das ist neu, funky wie die Frucht einer Palme. So viel vom Nullgeschäft. Ach ja, Einsen sind auch dabei.

Kommen wir zu den Beats und Tonschleifen, file under Goth-Hop, Abstract HipHop, Anticon, Bay Area. Muss seinen Grund haben, dass das Anticon-Icon ein eusozialer Hautflügler ist. Um Staatsbildung respektive Kollektivbildung geht’s wohl auch in der Labelphilosophie, ergänzt durch die Begriffe Resistenz, Experiment und Nonkonformität. Pünktlich zum Fünfjährigen gibt’s einen Midprice-Sampler, der trotz seiner Überlänge (79:31 Min.) keinen Aufpreis erhebt. Das macht ihn sympathisch. Mal abgesehen davon, dass Völlerei, auch die musikalische, auf den Magen schlägt, gehört der behutsame Umgang mit dem Anticon Label Sampler zum Spaß des Monats. Vorschlag: Wer trennt, hat mehr vom Leben, will heißen, wer die 33 Tracks um etwa zehn kürzt, hat einen High-End-Mix, der dem Ruf des Labels als innovatives, den üblichen Bräuchen der HipHop-Kultur abgewandtes Musik-Konglomerat mehr als gerecht wird. Daher auch der Name: Anticon = Anti-Conventional.

Mouse On Mars – Radical Connector (Sonig)
Poto & Cabengo — Dito (Karaoke Kalk)
V.A. — Anticon Label Sampler: 1999 — 2004 (Anticon)

Mouse On Mars on Tour: u.a. 17.11. D – Frankfurt – Mousonturm + DJ Elephant Power + Jason Forrest

Anticon Europe Tour (Passage w/ Restiform Bodies + Telephone Jim Jesus u.a. am 28.11.04 im Fox’n’Fiddle – Bleichstr. 46 – Frankfurt).

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