Gregors (Extra-) No. 11:
Róisín Murphy – Róisín Machine
(Skint Records / Warner)
Trotzplatzierung, klar, war schon 2020, aber: „Róisín Machine“ ist eine perfekte House-Platte, die dich mit ihrem Klangbild ungespitzt in den Boden rammt. House auf Albumlänge erweist sich in der Praxis ja oft als tückenhaft und Königsdisziplin der plastifizierten Klangrille, doch in so seltenen Momenten wie diesem wird die imponierende Erhabenheit und Schönheit dieses Genres so überdeutlich wahrnehmbar, dass es völlig egal ist, ob das Album dieses oder letztes Jahr veröffentlicht wurde. Die Hauptsache es ist im Kreise derer, die ich nun öffentlich meine Liebsten nennen kann. Dieses Drucklevel hat vor ihr zuletzt Luomo mit „Vocalcity“ erreicht, sagt einer, der House mag und viel zu selten hört.
Rolands No. 10:
Indigo De Souza – Any Shape You Take
(Saddle Creek)
Gar nicht mal so seltener Indierock. Mit Zusatzqualitäten wie: durch viele Register changierende Stimme, Musik ein Gestrüpp aus Pop und Gitarre. Es geht von zarthauchigen Autotunegespinsten über stellenweise Krachrumpelberge. Insgesamt rhythmisch interessant, dennoch Sound wie aus einem Guß. Was das Ganze auch gut als Album zusammenhält.
Gregors No. 10:
Maurice Summen – PayPalPop
(Staatsakt / H’Art)
Kennt keiner, glaubt keiner, aber es existiert: Das Beatbauer-Prekariat. Im Niedriglohnsektor bisher eher unterrepräsentiert, was die öffentlichkeitswirksame Erscheinung ihrer Zunft anbelangt. Maurice Summen hat nun gnadenlos aufgedeckt, wie die Musikbranche weltweit versagt! 1.000 Euro hat der Die-Türen-Sänger in die Hand genommen und war damit auf globaler Shopping Tour auf der Suche nach brauchbaren Unterlegen für seine Dichtkunst, handwerklich betrachtet gehört Summen nämlich zu den besten Liedtextern der Welt – ungeprüft versteht sich. Das teuerste Musikalbum aller Zeiten mit Kosten von rund 30 Millionen Dollar stammt übrigens von Michael Jackson und ist kein Meter besser als PayPalPop.
Rolands No. 9:
Ross from Friends – Tread
(Brainfeeder / Ninja Tune)
Ross from Friends war mir zuvor durch Einzeltracks nicht unangenehm aufgefallen, also habe ich mich mit mildem Interesse seinem Zweitling zugewandt. Der stellte sich als ein Elektronikalbum jener Qualität heraus, die es dann auch gerne in meine Jahresbestenlisten schaffen: kannste jederzeit anwählen, nie anstrengend, läuft ganz freundlich und angenehm zu allen denkbaren Tätigkeiten durch und mit. Und – das muss ja jetzt auch unbedingt gesagt werden – wann, wenn nicht jetzt, bräuchte nicht jeder und jede genau solche Begleiter zum Nervenzähmen, Mitwippen und Herunterkommen? Na also.
Gregors No. 9:
LUMP – Animal
(Chrysalis Records / Partisan Records)
Ich bekenne gleich zu Beginn: Nicht oft gehört. Wie bei vielen anderen auch begann mein Verhältnis zu LUMP mit einer Single. „Animal“ heißt sie, so wie das Album. Das hat mir als Sound-Erlebnis erstmal gereicht (zumal die Single ein Hit ist), bis ich neulich über die Rough-Trade-Jahrescharts gestolpert bin, die ich zum Nachbacken wärmstens empfehle. Auf dem Schwarzmarkt des Alleswissens dann folgendes entdeckt: Sie, Laura Marling, und er, Mike Lindsay, Gründungsmitglied der von mir geliebten Band Tunng, sind LUMP. Beide haben bereits schweres Metall um den Hals hängen (Brit Award, Mercury Prize). LUMP sind trotzdem keine großen Berühmtheiten im herkömmlichen Sinne, eher im Nischenland daheim, wo ganze Herden ihre Nahrung finden. Ihre Kunst: Klingklang-Indie vom Feinsten (Soundbeschreibung aus Machtdose-Poll 2012) mit unübertrefflichem Gesang und unterm Strich sehr modern trotz folklastigem Funkenflug.
Rolands No. 8:
CHAI – WINK
(Sup Pop / Cargo)
Erstmal alles wie gehabt, wenn das Japanklischee zuschlägt: Pyjamaparty / Kindchenschema, quietschbunt, Überdosis Niedlichkeit. Haut aber auch nicht hin, weil: jede Menge Widerborst und Eigenstand mit dabei. Weshalb diese Gegenüberstellung zu einfach ist; vielmehr amalgamiert alles mit allem, das Bedienende und Nichtbedienende, und wird so komplett ermächtigend: Plastik Love und Elektroclash, gehört alles CHAI. Das ist alles, nur eines ist es nicht: naiv.
Gregors No. 8:
Houeida Hedfi – Fleuves de l’Âme
(Phantasy Sound / Pias)
Eindrucksvolles Debüt der tunesischen Multi-Instrumentalistin Houeida Hedfi, die sich für die Produktion von „Fleuves de l’Âme“ Olof Dreijer von The Knife an ihre Seite geholt hat. Fun Fact: Die Geschichte besagt, dass Hedfi ihr erstes Schlagzeug im späten Alter von 27 Jahren bekam. Sie schloss sich erst einer Stambeli-Gruppe an, die afro-arabischen Sufi-Trance-Musik spielte, bevor ihr Wunsch nach Selbstverwirklichung so groß wurde, dass sie begann, selbst Musik zu machen. Neben Olof Dreijer, der die komplexen Klangsituationen eindrucksvoll in Beziehung brachte und Contemporary Electronica unter die analogen Instrumente mischte, finden sich auf dem Album noch die tunesische Geigerin Radhi Chaouli und die palästinensischen Bouzouk-Spielerin Jala Nader. Jedes Stück ist nach einem anderen Fluss benannt. Und so, wie Mekong, Nil, Ganges, Medjerda und Donau ihre jeweils eigenen Strömungsgeräusche haben, verbindet sich die Musik auf „Fleuves de l’Âme“ zu einem einzigen langen Fluss.