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Die besten Alben 2025 – Plätze 6 bis 4

Rolands Nr. 6:
Mei Semones – Animaru
(Bayonet Records)

Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch auffällt, aber unsere Charts sind ein einziges Übereinandergelage von allen möglichen Mischmaschs, was nun auch gerade für Mei Semones gilt: sie singt auf japanisch und englisch, zupft Bossa Nova, scattet jazzige Anhauchungen, auf Folkanleihen folgen Indie-Rock-Breaks usw. usf.

Insgesamt ergibt das scheinbare Durcheinander aber ein überraschend stimmiges Bild von hauchzarter, durchlässiger Leichtigkeit.


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Carstens Nr. 6:
Dressed Like Boys – Dressed Like Boys
(Mayway Records)

Jelle Denturck ist Frontmann der so eher okayen belgischen Indie-Rocker DIRK, sehr populär in ihrer Heimat. Mit dem Weezer-Powerpop seines Mutterschiffs hat sein Soloalbum gottlob recht wenig zu tun.

Überraschenderweise ist da ein leiser und durch und durch fähiger Songwriter der allerklassischsten Schule aus der Kiste gehüpft. Und mit klassische Schule meine ich die großen Referenzen der Siebziger: McCartney, Piano-Lennon, Nilsson und vielleicht auch Elton John vor der Stadionphase. Eben aus der Zeit aus der persönliche Gefühle ernst genommen wurden, aber noch nicht Haltung, sondern gesungene Geschichten waren. 

Sein Songwriting ist der eigentliche Trumpf. Strophen, die tragen. Refrains, die aufgehen und nicht schreien müssen. Alles wirkt selbstverständlich, fast unaufgeregt. Kein Zeitgeist-Produkt, kein Kommentar zur Gegenwart, sondern ein selbstbewusstes Bekenntnis zu Strophe und Refrain als einem Kosmos, den man immer noch bereisen darf. Sehr wohltuend.


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Gregors Nr. 6:
Bitchin Bajas – Inland See
(Drag City)

Elektronik, Jazz und Fläche – wer jetzt ein freudiges Juckeln verspürt, muss nicht weiterlesen und kann sich direkt der Musik zuwenden. Ich freue mich wie ein Lebkuchen im Advent, endlich mal wieder Musik aus Chicago! Was haben wir das früher gefeiert! Und dann auch noch via Drag City! (Von wegen Labels haben ausgedient.)

Trotz ihrer 15-jährigen Bandgeschichte hatte ich das Trio bisher nicht auf dem Schirm. Das ist Schwingschwang in bester Machart und eine geradezu fantastische Möglichkeit, das Vergehen der Zeit in einem Zustand der Schwebe zu erleben. Präzise arrangierte Pieptöne und Blubbergeräusche und kosmische Glissandos, die Musik wächst wie Cumuluswolken in die Höhe, verwandelt sich, zerfasert, verdichtet sich wieder, ist ständig in Bewegung und nie endgültig. Spannung und Entspannung. Ihr merkt schon, das alles ist sorgfältig durchdacht und hat viele kleine, aber wirkungsvolle Produktionsdetails. Berauschend schön, wie ich finde, mit kurzen, elektrisierenden Glücksmomenten.


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Rolands Nr. 5:
Say She She – Cut & Rewind
(Drink Sum Wtr)

Seit Gregor sie mir über die vorletzten Jahrescharts nahebrachte, bin ich absolut obsessed und höre alles Neue immer sofort, nach der Art: könnten auch das Telefonbuch singen (stattdessen kloppen sie zwischenzeitlich mal eins der besten Talking-Heads-Cover ever raus, aber ich schweife ab).

Wäre ich schwerreich, würde ich sie mir als persönliche Partyband dauerbuchen. Da kommen sie zweifelsohne her, aber lasst Euch nicht täuschen: das Album ist zwar Disco-Album durch und durch, birgt aber eben doch genug thematische und auch Stimmungs-Abweichungen, da geht’s dann also doch um mehr als nur ums Hotten (also da geht’s schon sehr drum, aber Ihr versteht schon).


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Carstens Nr. 5:
Moscoman – Caviar
(Disco Halal)

Moscoman heißt eigentlich Chen Moscovici, kommt aus Tel Aviv, lebt in Berlin und bewegt sich seit Jahren souverän zwischen Club, Labelarbeit (Disco Halal) und einem klaren Interesse auch an Band-Ästhetiken. Bevor elektronische Musik für ihn zentral wurde, waren da Indie, Rock und Postpunk – und genau das hört man Caviar an. 

Bei aller Konsistenz – natürlich ist wieder so ein Retro-Auto auf dem Cover – ist diesmal der fröhliche Synthpop seines Hits „What do we care“ etwas aufgebrochen, weniger Peak-Time und mehr Spannung. Basslinien mit deutlicher Postpunk-DNA, stoische Grooves, Chorus-Gitarren, dazu Synths, die eher Atmosphäre schaffen als Effekt. New Wave und frühe Achtziger sind immer da, aber ohne Retro-Show. Das Ganze bleibt kühl, leicht melancholisch, manchmal too much, manchmal bewusst spröde. Tanzbar, aber nicht zwingend. Obwohl, eigentlich schon.


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Gregors Nr. 5:
FKA Twigs – Eusexua
(Atlantic / Young)

In der Presse und bei den Fans gilt sie ja als Avantgarde. Mir fehlt ehrlich gesagt das nötige Know-how, um das richtig einzuordnen. Und doch ist da irgendetwas, das mich kaum daran zweifeln lässt.

Der Gesang ist wie auf ihren Alben davor gesetzt, da kommen weder (ihre eigenen) Vocoder noch Autotune gegen an ­– oder Normalsterbliche. Das reicht von hauchzartem Gesäusel bis hin zu Mariah-Carey-ähnlichen Falsetten und dröhnendem Kläffen.

Musikalisch ist „Eusexua Little“ ein Brett für Herz und Verstand. Oder doch vielleicht: Technobrett? (Während sie im gleichen Augenblick von Techno zu House zu Garage zu Drum and Bass wechselt). Das Album beharrt nicht auf starren, durchgehend hämmernden 4/4-Beats, sondern entwickelt eine deutlich freiere und nuanciertere Rhythmik und ist doch aus der gleichen Spinnerei. FKA Twigs konzentriert sich stets auf die Fäden, die uns tanzen, zucken, ruckeln und schreien lassen. Und durch die geschmeidige, experimentelle Verflechtung von Beats, Tönen und Songstrukturen erreicht sie eine ätherische Dichte, die die Grenzen zwischen Körper und Klang nahtlos… „I describe it as a moment before an orgasm“ (FKA Twigs).


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Rolands Nr. 4:
pôt-pot – Warsaw 480km
(Felte)

Eine irische Band aus Lissabon. Ich habe keine Ahnung, wie der Bandname ausgesprochen, dafür aber davon, was hier geboten wird. Gitarre. Und zwar eine auf Reisen. Es ist scheinbar immer dieselbe, die durch die Lieder wandert, aber die bzw. deren Bedingungen ändern sich dauernd, mal geht’s durch Krautrockgestrüpp, dann wieder an die Surfbeach, hier ist mal im Swinging-Sixties Vorort, als nächstes aber wieder hinab in den verrauchten Beatniks-Keller. Ein Trip also, durchaus mit psychedelischem Schwerpunkt, aber die Gitarre, die bleibt dabei glasklar und auf ihrem Weg.


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Carstens Nr. 4:
Whitney – Small Talk
(Secretly Canadian)

Es ist schon interessant, wie dieser Westcoast-Pop-Sound der späten 70er und frühen 80er gerade wieder auftaucht. Damals als weichgespült gescholten, vor ein paar Jahren etwas dämlich als „Yachtrock“ gebrandet, jetzt plötzlich richtig da. War vielleicht nie wirklich weg. Hakenlose Musik für Fahrten ohne Ziel. Passt ja so ins Grundgefühl.

Whitney bewegen sich genau in diesem Koordinatensystem, aber ohne das nervöse Reenactment. Während Young Gun Silverfox eine technisch versierte Steely-Dan-/Doobie-Brothers-Simulation abliefern (inklusive diesem drögem Besserwisser-Studiomucker-Getue) sind Whitney weniger perfekt, weniger geschniegelt, dafür spürbar persönlicher. Es geht nicht nur um Referenzen, sondern auch mal Gefühle.

Sänger Julien Ehrlich hat so einen Hauch von Peter Cetera, manchmal blinzelt sogar der frühe John Denver ums Eck. Indie-Soft Rock der das Herz erwärmt, ganz ohne Angeber-Akkordwechsel.


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Gregors Nr. 4:
Peki Momés – Peki Momés
(Mocambo)

Ich mag es, wenn viel Buntwäsche in der Waschmaschine landet. Im Schleudergang entstehen dann meist wunderschäne Farbspiele, die sich durch das Türglas bewundern lassen. Der Waschsalon als Treffpunkt für alle möglichen Farben und Menschen. Peki Momés gleichnamiges Album ist ähnlich vielfältig verspielt und eignet sich perfekt für eine Laundry-Party. Tolle Arrangements in glitzerglattem Avant-Popzauber. Man sagt, das Ganze nennt sich Turkish City Pop.

Peki Momés wohnt in Leipzig, hat türkische Wurzeln und keine musikalische Vorbildung, dafür aber ein Team, das die Lücken zuspielt. Wo wir nahtlos beim zweiten Punkt wären, der mich zwar nicht überrascht, mich aber umso mehr begeistert. Türkisch ist eine unglaublich schöne Singsprache. Unfassbar. Ihr Gesang klingt ölig-locker wie eine gut geschmierte Lambretta und ist so was wie das Feinwaschmittel des Albums.

Den Grundton setzen die 1960er Jahre. Das Internet der Dinge offenbart eine faszinierende Schichtung weiterer Einflüsse: Anadolu Rock, City Pop – jenes urbane „Big City Feeling“ aus Japans Wirtschaftsboom-Ära der 70er und 80er mit Jazz- und R&B-Nuancen –, Psychedelia, Disco und Funk. Schwer in Ordnung, was da auf Albumlänge passiert.

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