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LCD Soundsystem – Sound of Silver

Sieben Tage Bettruhe — das hilft, die gesellschaftliche Realität etwas besser einzuordnen. Viel Fernsehen und ein gesteigertes Interesse an den Randnotizen des bundesrepublikanischen Alltags, von der Frankfurter Rundschau verbreitet, vermittelten mir ein eigenartiges Bild deutscher Behaglichkeit. Fieber hatte ich keins, kann aber doch mit meiner Krankheit zusammenhängen, dass 50.000 Besucher anlässlich der Neueröffnung des Ikea-Marktes in Nieder-Eschbach einen spontanen Aufschrei der Empörung verursachten und meinen angeschlagenen Zustand direkt um weitere drei Tage verlängerten. »Die Stimmung war gut« hieß es in dem Artikel, es gab Begrüßungsgutscheine und – ich vermute mal — Hot Dog und Billys in ausreichender Menge. Eröffnungs-Einkaufspartys sind beliebt, keine Frage. Ähnlich überrascht war ich dann auch von der Tatsache, dass die 80.000 Karten für das Spiel Dortmund gegen Nürnberg bereits im Vorfeld vergriffen waren. Dortmund – Nürnberg! Was geht’n da, fragt man sich? Ich nenn‘ das mal Gleichgültigkeit in seiner reinsten Form, die da eine ganze Nation ergriffen hat. Alles Hallodris, wenn ihr mich fragt. Aber das ist ja nichts Neues. So viel zu den Zahlen der Woche. Just Jack ist kein Hallodri, der englische Tugendbold und Traum aller Schwiegermütter hat nämlich die bisher eingängigste Single des Jahres veröffentlicht, seltsamerweise weiß nur noch niemand etwas davon, zumindest lese und höre ich nichts von ihm. Ein Gradmesser für die Richtigkeit meiner Behauptung ist die Wirkung dieses Songs auf mein Gemüt, und das ist allzeit in bester Stimmung, wenn »Starz in their eyes« aus meinen Boxen tönt. Ob bei Just Jack mehr drin ist, kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Klassisches postdigitales »Single-only Phänomen«, bisher jedenfalls.

Anders ist das bei James Murphy alias LCD Soundsystem. Sein zweites Album »Sound of Silver« ist der große Wurf, bisweilen überragend in seiner Gewichtsklasse. Wer das noch nicht mitbekommen hat, verrennt sich wahrscheinlich zu oft im Lokalteil seiner Tageszeitung. Viel Platz gibt es für diesen, seinen Sound eigentlich schon lange nicht mehr, umso überraschter war ich, als ich das Album das erste Mal zu Gehör bekam. Murphy hat es tatsächlich geschafft, ein neues Bezugs- und Koordinatensystem zu schaffen, das zur Coolness des Jahres aufsteigen könnte. Viel cooler geht nicht. In seiner Wirkung mit Kokain zu vergleichen. Die erste Singleauskopplung ist die Quasi-Reminiszenz an Mark E. Smith, der Floorfiller »North American Scum«. Leicht versteckt halten sich das überragende »Someone great« sowie das britpoppige »All my friends«, beides potentielle Zweitsingles. In alter Vertrautheit findet man sich dann beim Hören der beiden Songs »Get innocuous« und »Time to get away«. Will man alles haben. Selbst die Kuhglocke auf »Us V them« geht ab wie ein Zuchtbulle vor der Besteigung. Erinnert in seiner epischen Größe alles ein wenig an Underworld. 21st Century Clubbing eben. Widersprechen muss ich an dieser Stelle noch Spex-Autor Tobias Rapp, für den die zweischneidige Schlussballade »New York I love you but you’re bringing me down« so richtig gar nicht funktioniert. Verstehe ich so richtig gar nicht. Sinatra hätte zwar nicht unbedingt seinen Hut davor gezogen, aber im Grunde genommen ist der Mann ohnehin überbewertet. Fazit: Auf »Sound of Silver« finden sich achteinhalb klasse Lieder — achteinhalb von neun. Nette Ausbeute für einen Zweitling.

Zu guter letzt noch der Hinweis, dass wir mit der Science Fiction Army eine neue Supergroup aus Rhein-Main am Start haben. Besucht sie auf ihrer MySpace-Seite und vor allem: kauft ihre CD. Das ist ein Befehl!

Sendung vom 22.02.07 – Radio X – Ich höre Radio X
01. Just Jack — Starz in their eyes [Album Version] (Mercury Records)
02. LCD Soundsystem — North American Scum (Labels/DFA Records)
03. LCD Soundsystem — New York I love you but you’re bringing me down (Labels/DFA Records)
04. LCD Soundsystem — Time to get away (Labels/DFA Records)
05. Seelenluft — Horse with no name (klein records)
06. Spektrum — Don’t be shy (Nonstop Recordings)
07. Springintgut — Precastor (City Centre Offices)
08. Springintgut — A few words on bright nights (City Centre Offices)
09. Science Fiction Army — Get a message for u (Eigenvertrieb)
10. Science Fiction Army — To the movies (Eigenvertrieb)

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Ein Gedanke zu „LCD Soundsystem – Sound of Silver“

  1. Just jack läuft hier in england auf jeder party, fast schon in dem maße dass man sich selbst nicht mehr traut den song zu spielen (obwohl er wirklich nicht schlecht ist). schwappt wahrscheinlich erst im sommer nach deutschland über…

    und 50.000 leute in nieder-eschbach? da wär ja fast mal was los gewesen; als ich noch dort gewohnt habe war das einzige highlight die eröffnung des neuen plus supermarkts ;)

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