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Die Stadt macht den Beat

Chronomad alias Saam Schlamminger hat mit den typischen Sounds seiner beiden persischen Schlaginstrumente, der Zarb (Trommel) und der Daf (Rahmentrommel), nur bedingt Freundschaft für’s Leben geschlossen. Einerseits hat er jede verdammte Musikschule des Orients besucht, hat sich von den ganz Großen die richtigen Schläge zeigen lassen und seine traditionelle Schlagarbeit jederzeit gefördert, trotzdem kamen Zweifel auf. Die eines Musikers, der seinen Ausdruck sucht, eine Idee.

Mit scheinbar beiläufig gestalteter Stärke wird die Klangempfindung des Orients auf seinem vier Tracks starken Debüt in bayerische Elektronik verwandelt, fast so, als gäbe es keine kulturelle Andersartigkeit zwischen Europa und Asien. Denn eins ist klar: seine Offenheit, der enge Kontakt zu befreundeten Komponisten sowie die zahlreichen Workshops im In- und Ausland haben einen Trommler reifen lassen, der den Konventionen seines Genres jederzeit enteilt: »Ich habe versucht, mit orientalischen Pattern und Beats zu arbeiten und sie möglichst extrem zu verfremden und zu entstofflichen, so dass man eigentlich nicht mehr genau heraushört, um welche Instrumente es sich eigentlich handelt. Was bleibt, ist der Puls der Instrumente und das spezielle Rhythmusgefühl«.

Sein persisches Blut dürfte auf der Suche nach dem Puls der Zeit wahrscheinlich eine entscheidende Rolle gespielt haben. Ebenso wie sein Studium der orientalischen Rhythmik. Wie selbstverständlich wandelt Schlamminger umher, auf allen Kontinenten versteht sich, um sein Konzept zur Reife zu bringen: »Ein wichtiger Punkt in meiner Musik ist es, nicht mit einem Klischee zu spielen, sondern einfach die Qualität, die ich in der Musik des Orients sehe, zu verwenden und damit zu arbeiten. Eine zu starke Betonung des Exotischen wäre der falsche Weg«. Zu viele Reisen in zu viele verschiedene Länder schützen ihn jederzeit vor einem übersteigerten akustischen Erkennungszeichen; wie auch, wenn der Iran als Land so selbstverständlich funktioniert wie die Türkei oder Usbekistan?

Dass es für unser eins mitunter komisch, oder besser: anders zugeht in der weiten Welt der Trommler, zeigt eine seiner Lehrstunden in Indien: »Die indische Musik hat ihre eigene Welt, wo Rhythmus und Astrologie zusammenspielen. Letztens hatte ich Unterricht bei einem Lehrer von mir aus Madras, ein großartiger Trommler in der fünften Generation. Ich kam um zwei Uhr zum Unterricht. Er schaute nur auf die Uhr und sagte zu mir: Nee, das ist jetzt nicht die passende Zeit, die Sterne stehen nicht gut. Um fünf Uhr können wir anfangen«.

So viel zum Thema Rhythmusgefühl. Einen Hauch dieser spirituellen Musik spürt man in Chronomads Liedern, modern und inspiriert: »Für mich gibt es kein hier und kein dort. Ich bin ein akustischer Mensch und ich höre mir die Rhythmen der Städte an. Jede Stadt hat ihre eigenen Rhythmen und ihre eigenen Beats. Wenn du in große Städte gehst, dann hast du viele großzyklische lange Rhythmen, wenn du mehr so nomadische Rhythmen betrachtest, dann sind das meist ganz kurzzyklische, treibende, rastlose Rhythmen. Istanbul ist beispielsweise eine Stadt, die dem Nomadischen sehr nahe kommt. Diese Rhythmen verweben sich ganz komisch miteinander. In Istanbul merkt man das ganz stark. Historisch betrachtet war Istanbul immer ein Knotenpunkt. Dort treffen die langen Rhythmen auf die ganz kurzen des nomadischen Wüstenraums. Das ist ein ganz ganz feiner Augenblick. Wenn du dann in den indischen Großstädten bist, hast du Zyklen von 128 Schlägen, bevor es wieder bei der Eins losgeht. In dieser Struktur vergeht richtig viel Zeit und Raum. Wenn du dann aufs Land gehst, hast du diese ganz kurzen Panjabi-Beats, die man aus dem Drum & Bass kennt. Da haben wir es mit ganz kurzzyklischen treibenden Beats zu tun«. Reisen ist alles!

Sendung vom 09.10.2003
1. Chronomad – Sefid (Alien Transistor)
2. Tied & Tickled Trio – Motorik (Morr Music)
3. The Notwist – Lichter [Console Rmx] (Alien Transistor)
4. Tied & Tickled Trio – Like Armstrong (Morr Music)
5. Cheb Khaled & Cheikha Rimiti – o.A. ((The Gold Collections)
6. The Books – The future, wouldn’t that be nice? (Tomlab)
7. V.A. æthiopiques [Buda Musique] – o.A.
8. Chronomad – Sabs (Alien Transistor)
9. Kocani Orkestar – o.A.

Chronomad – s/t (Alien Transistor 03 – 2003)

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Ein Gedanke zu „Die Stadt macht den Beat“

  1. super. heisst nicht auch das neue setlur-album „sabs“ (nur so nebenbei). saam hat doch was zur „weltmusic“ gesagt! das hätte ich gerne nochmal im zitat. ansonsten erstmal „ahoi!“ (wie wars dort?)

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