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Im Windkanal

So langsam scheint auf breiter Ebene darüber Einigkeit zu herrschen, dass der kulturelle Pluralismus, den unsereins genießt, in der Zielgeraden blutleer verendet. Der Ärger wächst! Zuletzt ist Charlotte Roche mit ihrer Sendung Fast Forward beurlaubt worden. Einfach so! Das Fernsehen ist tot, Schwachsinn auf breiter Ebene. Und ihre Programmplaner wollen uns glauben machen, dass die Selbsterhaltung kultureller Nischen(musik) auch über ihr eigenes System funktionieren kann. Nur leider liegen sie damit völlig daneben. Die Auswirkungen dieses sinnlosen Kahlschlags, wie er momentan landauf, landab betrieben wird, bekommen wir in vielen Jahren zu spüren. Dann nämlich wird es die großartige Vielfalt, wie wir sie tagtäglich erleben dürfen, nicht mehr geben. Dann erst wird aber die Einsicht siegen, dass die Bildung einer Monokultur nur Schrecken und Ärger bringen wird. Elke Buhr schärft mit ihrem Artikel »Im Windkanal« den Blick für ein Problem, das zurzeit drastisch wächst.

Jetzt kommen wir wieder zu meiner Lieblingsstelle in der Sendung. Das ist der Teil wo ich jede Menge bewusstseinserweiternde Pilze esse, ein rohes Dioxin-Ei schlürfe und eine schwarze Messe mit jungfräulichen Hühnern veranstalte. Wegen der psychischen Einstimmung auf die deutschen Single-Charts. (Charlotte Roche)


Manchmal steht die Frau mit dem Sixties-Lidstrich auf einer Wiese, manchmal in ihrem kleinen bunten Studio, manchmal, im Sommer, steht sie am Strand und lässt die eintätowierte Schlange auf ihrem Bauch an die Sonne. David Bowie hat auf ihrem Sofa über ästhetische Konvergenzen zwischen seiner Malerei und seiner Musik Auskunft gegeben; mit Robbie Williams hat sie über Sperma-Trinken geredet. Die Videos, die sie in die Welt schickt, sind allesamt Antworten auf die Frage, wo das echte Leben bleibt in der durchgestylten Welt der Charts: cleverer Pop, lustiger Trash, alle neuen Gitarrenbands dieser Welt. Jedes dieser Werke verpackt Charlotte Roche in eine kunstvolle Wortschleife und versieht sie mit der nötigen Portion Kontext: wer was wann warum, prickelt das unter den Fußsohlen oder nicht.

Pop, Politik, Gesellschaft

Auf der Homepage der Viva-Sendung Fast Forward werden all diese Tätigkeiten so zusammengefasst: Charlotte Roche erklärt die Zusammenhänge zwischen Pop, Politik, Gesellschaft, Kultur und Konsum. Sie wird dafür demnächst keine Gelegenheit mehr haben. Fast Forward, die beste Sendung des deutschen Musikfernsehens, wird abgesetzt. Man möchte das eine Tragödie nennen. Nicht zuletzt deshalb, weil die genannten Zusammenhänge heute mehr denn je einer Erklärung bedürfen.

Es scheint hier zunächst einmal um den Zusammenhang von Pop und Konsum zu gehen, beziehungsweise von Pop und Geld. 310 Millionen Euro hat es den amerikanischen Medienkonzern Viacom, zu dem neben CBS und Paramount auch MTV gehört, in diesem Sommer gekostet, Viva aufzukaufen; nach jahrelangem Konkurrenzkampf hat sich die Mutter des Musikfernsehens ihren kleinen deutschen Bastard einverleibt. Jetzt wird verdaut. Ausgeschieden wird dabei nicht nur Fast Forward, sondern auch das HipHop-Magazin Mixery Raw Deluxe; damit stellt Viva seine letzten beiden musikjournalistischen Sendungen ein. Für den Musiksender Viva ist – genauso wie für öffentlich-rechtliche Radioprogramme wie HR1 – Musik kein Thema mehr, das kommentiert, besprochen, vorgestellt werden sollte. Die Popkultur verliert ihre zweite Hälfe, die Kultur; das Schwert, das sie abschlägt, hört auf den Namen Quote.

Wer immer noch glaubt, Popmusik mache vor allem Spaß, der solle sich mal mit einem Mitarbeiter von Media Control unterhalten. Pop mag synonym für das Populäre sein, die so genannte MTV-Ästhetik war die Chiffre für die visuelle Kultur der neunziger Jahre. Doch das heißt noch lange nicht, dass Massenmedien mit Popmusik auch Geld verdienen könnten. Im Bewusstsein der Medienmanager ist ein großer Teil der Popmusik längst das, was Oper, Theater und andere kulturaffine Gegenstände auch sind: ein potentieller Quotenkiller.

Popmusik ist emotional, Popmusik ist aufgeladen mit allen möglichen Szene-Codes, Popmusik ist unendlich ausdifferenziert – deswegen ist sie für Medien gefährlich. Wer Musik hört, die ihm nicht gefällt, schaltet ab, das haben die Jungs und Mädchen von der Marktforschung gemessen. Die Lösung der Medienmacher ist quadratisch, praktisch, hohl. Sie erfordert keine Musikredakteure, sondern ein Computerprogramm: Man spielt den kleinsten gemeinsamen Nenner, und das sind die Charts plus ein paar Oldies, die jeder mitpfeifen kann. Im Radio heißt das Prinzip Format, im Musikfernsehen chartsabhängige Rotation. Und zur Prime Time sendet Viva, ähnlich wie MTV, lieber Shows und japanische Animæs statt Musikvideos: Musikfernsehen ohne Musik funktioniert einfach besser.

So wird Fast Forward Opfer der so genannten Tagesdurchschnittsquote – Opfer des im Medienbetrieb mittlerweile auch jenseits des Fernsehens verbreiteten Prinzips, Erfolg am Grad der Mainstreamfähigkeit zu messen. Das Erschreckende an diesem Mainstream ist, dass er keine Inseln mehr zulässt: Das gesamte Angebot muss durch den Windkanal der Massentauglichkeit. Angebote für Leute mit besonderen Interessen, sei es zum Thema Literatur, Ethnologie oder eben guter Popmusik, gelten geradezu als geschäftsschädigend.

Im Interview hat Charlotte Roche jetzt von den Gesprächen mit ihren Chefs berichtet, die sich über den Knick in der minütlich ausgewiesenen Zuschauerkurve ärgerten, die Fast Forward verursacht. Sie habe versucht, den Leuten zu erklären, dass es sinnvoll sein könnte, wenigstens in einer von vierundzwanzig Stunden etwas Spezielles zu zeigen. Sie habe in blanke Gesichter geschaut. Wer immer unter dem aktuellen Regime der schmerzhaften aber notwendigen Einschnitte“ versucht hat, einem Vorgesetzten auf Reformkurs den Wert von spezialisierten, womöglich komplexen Kulturangeboten für Minderheiten zu erklären, kennt diesen Gesichtsausdruck.

Und hier lehrt uns Charlotte Roche, 26 Jahre alt, nasengepierced, auch etwas zum Thema Politik und Gesellschaft. Wie versprochen. Nämlich: Der Kurs des kulturellen Kapitals ist in den letzten Jahren rasant gesunken – das müssen nicht nur öffentlich finanzierte Kulturschaffende erfahren, denen man regelmäßig ihr Schmarotzertum vorrechnet, man kann das auch bei einem durch und durch kommerziellen Unternehmen wie Viva verfolgen.

In den neunziger Jahren wurde es nämlich auch dort für erstrebenswert gehalten, sich mit etwas zu schmücken, das man kulturellen Mehrwert nennen könnte. Das pop-orientierte jugendliche Milieu, an das sich Viva wendete, wurde als hochindividualisiert beschrieben, in Szenen zerfallen, immer auf der Suche nach Distinktionsmerkmalen. Glaubwürdigkeit in diesem Segment erforderte ein gewisses Maß an Experimentierfreudigkeit, so kommunizierte man es noch den Aktienkäufern beim Börsengang im Jahr 2000. Es erforderte kleine kluge Punkerinnen wie Charlotte Roche.

Marktforschungsformatiert

Der soziologische Befund von der Zersplitterung der Szenen hat sich nicht geändert, im Gegenteil. Doch seit dem Niedergang der New Economy und der folgenden Rezession werden mit Coolness und Differenz keine Geschäfte mehr gemacht – genauso wenig wie mit Spezialwissen und kultureller Verfeinerung. Symbolisches Kapital ist nicht mehr konvertierbar. Stattdessen gilt bei der Produktion und Bewertung von „Content“, von medialen Inhalten, die gleiche ökonomische Rationalität wie bei der massenhaften Produktion von Autos oder Computerchips. Wer weiterhin darauf besteht, Angebote jenseits des Mainstreams zu konsumieren, guckt in die Röhre und langweilt sich – man taugt offensichtlich noch nicht mal mehr als Zielgruppe.

Die Musikindustrie hat die Quittung für das dumpfe Ausbeuten eines marktforschungsformatierten Mainstreams nach der Logik der economies of scale bereits bekommen: in Gestalt einer Absatzkrise, deren Ende nicht abzusehen ist. Pop ist eben doch nicht nur das, was nicht stört. Und wo die Statistiker den Mainstream vermuten, gähnt am Ende die gleiche Leere wie auf den Gesichtern der Medienmanager.

So, bis morgen, und macht das Licht aus, wenn ihr geht. (Charlotte Roche)

RBUHR © Copyright Frankfurter Rundschau (Nr. 276) – Donnerstag, den 25. November 2004