Der berühmteste Flohmarkt im Global Village ist der Camden Market in Camden Town, London. Dieser Markt lehrt einem, dass Warenhäuser wie Karstadt nicht der Nabel der Welt sind und das es fernab der Konsum- und Rauschzonen prosperierende Nischenmärkte geben kann. Der bunte Handel mit Überflüssigem ist für nicht wenige aus meinem Bekanntenkreis der lukrativste Ausweg aus dem Einerlei standardisierter Massenware. Unter den Krimskrams-Verkäufern sind nicht selten Spezialisten diverser obskurer Gattungen. Im schlimmsten Fall bedeutet das Ü-Ei Spezialist, im günstigsten Fall haben wir es mit einem Kenner antiquierter Thonet-Sessel oder Radiowecker à la »Pop 70« von Blaupunkt zu tun.
Kenner ganz anderer Art sind die Herren Stuart Baker und Eric Lidell. 1988 schlugen sie erstmals ihre Tapeziertische im Camden Market auf und verhökerten alte Soul- Funk- und Jazz-Platten. Ruhm, Geld und Anerkennung vor Augen, beschloss man, die Platten in einem kleinen Laden zu verkaufen. By the way: In dem Haus des Ladens ließ Gilles Peterson, Kopf von Talking Loud und Acidjazz-Veteran, in seinem Sonntagsclub »Dingwalls« die Platten tanzen. Synergie-Effekte blieben nicht aus. Die Clubgänger wurden auf der Suche nach alten LP’s im Plattenladen fündig, umgekehrt schickten Baker und Lidell ihr Klientel einen Stock tiefer in’s »Dingwalls«.
Von dem großen Erfolg des Plattenladens angetrieben beschloßen Baker und Lidell 1993, ein eigenes Label zu gründen. Soul Jazz Records erblickte erstmals mit der Compilation «London Jazz Classics« das Licht der Welt. Das Label verkaufte auf anhieb 10.000 Alben (in Nischenmärkten wie diesen ist das gleichzusetzen mit einer Platinauszeichnung). Um dem großen Durcheinander diverser Stile Herr zu werden gründete man zwei weitere Labels namens Universal Sound und Satellite. Universal Sound kümmert sich um die Wiederveröffentlichung verloren geglaubter Schätze aus den Bereichen Reggea, Jazz, Funk und Soul. Baker und Lidell nutzen das Label auch dazu, die Musik von in der Versenkung verschwundenen Independent Labels vornehmlich schwarzer Musiker als Reissue wieder auf den Markt zu werfen.
Vor kurzem erschienen die drei Compilations »Message from the Tribe« (Tribe Records, Detroit), »Black Jazz Recordings« (Black Jazz Records, Chicago) und Strata-2-East (Strata-East Records, New York) die bisher nur als Import erhältlich waren. Das Schwesterlabel Satellite Records öffnet da eine ganz andere Schublade und erfreut Freunde der countryesken LowFi-Klänge oder gitarrennoisiger Elektronik. Soul Jazz Records wiederum bedient all jene, die ungewöhnlichen Reggea, dubiosen Ska oder groovig-fesselnden Latino-Jazz, -Funk, -Rock lieben. Ungekrönte Highlights sind die beiden Compilation-Serien Nu Yorica! #1 und #2 sowie Nu Yorica Roots! bzw. 100%-, 200%- und 300% Dynamite!. Nu Yorica ist der Rettungsring für Latin-Music im New York der Sechziger und Siebziger, die Dynamite-Reihe widmet sich ausschliesslich dem Reggea, Rocksteady und Ska.
Über all dem Wirrwarr steht die Ansicht, dass gute Musik erst dann entstehen kann, wenn man die Regeln ihres Genres missachtet. Oft sind die Songs lang und kompromislos, von Afro-Amerikanern produziert, die im Mainstream nicht anerkannt wurden. Verfolgt man die Logik der Labels, wird schnell deutlich, dass an der Spitze dieses heterogenen Haufens Konsens und Harmonie stehen. Widersprüche in der Veröffentlichungspolitik lässt Baker nicht zu, da eine gemeinsame Sinnlichkeit dem ganzen Material zugrunde liegt. Inspiration und Unabhängigkeit halten das ganze Gerüst prima beisammen und machen aus Fisch Fleisch.
Das Universum um Soul Jazz ist mehr als ein Archiv für Musikgeschichte und man muss nicht in dieser Zeit groß geworden sein, um an dieser Musik gefallen zu finden. Ausserdem ist der Zeitpunkt denkbar günstig, auch in Deutschland zum Erfolg zu kommen. Das Publikum, das sich an der Musik zum Film Buena Vista Social Club erwärmen konnte, dürfte bei Soul Jazz keine Ohrenschmerzen bekommen. Der Großteil aller Veröffentlichungen ist sowohl als CD als auch als LP ohne größere Probleme zu bekommen. Empfehlung: ausnahmslos alles!
Info’s unter: soundsoftheuniverse@compuserve.com
Webseite: http://www.soundsoftheuniverse.com/“