Tom Steinle ist ein Visionär. Und er ist Betreiber eines, verzeiht diesen ruinierten Ausdrucks, Indie-Labels. Was bringt einen Mann, Anfang 30, dazu, seine bürgerliche Existenz aufzugeben, um auf äußerst dünnem Eis Musik zu veröffentlichen, die vom Popstargebaren der TV-Sternchen Lichtjahre entfernt ist? Die Gunst der Massen werden Tomlab-Releases, so die Benennung des Labels, nie gewinnen. Dazu klingen Tomlab Produkte einfach zu eigenbrötlerisch. Die Verkaufszahlen werden sich vermutlich auch in Grenzen halten. Ich schätze mal, dass weltweit vielleicht 15.000 Menschen überhaupt von der Existenz dieses Labels unterrichtet sind. Eigentlich nicht schlecht, reich wird man damit aber nicht. Der Rentenkasse bringt’s nichts, das Eigenheim bekommt auch keine genauen Konturen, das Bruttosozialprodukt lacht über die Jahresbilanz und den Grammy heimsen doch wieder die Falschen ein.
Was läuft da also genau? Wirtschafts- und gesellschaftstaugliche Unternehmensprinzipien scheinen im Tomlab-Betrieb ganz einfach keinen allzu großen Stellenwert einzunehmen. Sind Ruhm und Ehre womöglich der Beweggrund dieser eigentümlichen Lebensform? Oder am Ende doch nur Platons Gedanke, sein Glück im Ideehaften zu suchen? Jedenfalls gibt Steinle die Parole vor: trying to make the world a better place! Für jemanden, der hauptsächlich mit Musik dealt, kein schlechter Ansatz.
Gegen etwas mehr Hitpotential hätte Steinle sicherlich nichts einzuwenden; aber bitte mit Substanz. Klar, kann er haben. Die Hitparaden sind voll damit. Wer Musik von einem Menschen veröffentlicht, der seine Musik auf einem Miniatur-Keyboard einspielt und den Gesang über einen Anrufbeantworter laufen lässt, kann Morgen schon mit einer Nominierung Bohlens rechnen. Und innovativ ist so was auch noch. Welcher Musiker kann schon von sich behaupten, Netz unabhängig an jedem Ort dieser Erde Konzerte geben zu können? Casiotone for the Painfully Allone hat’s hinbekommen. Oder wie heißt’s lakonisch auf der Internetseite: „It just may be the best battery-powered pop record ever“.
Wer’s eine Nummer härter braucht, ist mit dem letzten Album von The Books bestens bedient. Die zerhackten Songs ihres Albums „Thought for food“ basieren allesamt auf einem mindful sample databes management, das seine Dynamik aus Versatzstücken amerikanischer Fernsehunterhaltung bezieht. Ausgesuchte Nachrichtensendungen, reaktionäre Rednecks und Hippiegurus bilden die stilvolle Vorlage dieser wahnsinnigen Musikmischung, die von ihnen selbst als Virtual Indie-Rock bezeichnet wird. Wer mal genauer über das Verfahren nachdenkt, wird schnell merken, dass sich mit dieser Herangehensweise eine Menge feiner Sachen anstellen lässt. Da, wo Gefahren lauern, wird zugebissen. Und wo, wenn nicht im amerikanischen Fernsehen, eignet sich diese Methode besser?
Mein Lieblings-Tomlab-Artist schraubt wahrscheinlich im Zwinger seine Musik zusammen. Jedenfalls hat er’s ganz sicher nicht weit dahin, Flim aka Enrico Wuttke lebt nämlich in Dresden. Die Musik ist ein eigenartiges Gebräu aus Satie, Tortoise, Talk Talk und einem Metronom. Wuttke meint es mit seiner Musik ernst, manchmal auch spaßig, überwiegend aber ernst. Seine Pianolinien halten den ganzen Wust seltsamer Geräuschfäden zusammen, die sich über den Longplayer ausbreiten. Immer schön quiet!
Das weltumspannende Netzwerk des Labels steht: Ein anderer aktueller Tomlab- Release stammt von der vierköpfigen Band The Caribbean aus Washington DC. Auf ihrem Album „History’s first know-it-all“ geht’s vergleichsweise zahm zu. Klassisches Songwriting trifft auf Samples, Trompete & Klavier. Der neuste Clou heißt Fonica. Fonica kommen aus dem Märchenwald, haben ihren Wohnsitz jedoch vorübergehend nach Tokyo/Japan verlegt. Keiichi Sugimoto (male) und Cheason (female) haben auf dem Album „Ripple“ betörend feinsinnige Wohlklänge untergebracht und für ein kleines Tomlab-Highlight gesorgt (für Freunde von Tommy Guerrero und Gorodisch)
Die Reihe derer, die ihre Musik via Tomlab verbreiten, ließe sich an dieser Stelle beliebig in die Länge ziehen. Kürzlich ist das zweite Flim-Album namens Helio erschienen. Es trägt die Laufnummer 25. Wann Schluss ist, weiß niemand. Ein Ende ist jedenfalls nicht in Sicht. Steinle hat sich für dieses Jahr viel vorgenommen. In seinem Demo-Briefkasten schlummert genug veröffentlichungswürdige Musik für die nächsten Monate, wenn gar Jahre. Er lebt davon und es scheint im gut zu gehen damit. Wer weiß schon, was morgen kommt?
Ich kannte Fonica noch nicht. Super Tip. Danke.
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