So, der vor langer, langer Zeit gefasste Plan, eine Compilation zusammenzustellen, auf der Bands zu finden sind, die aus dem Rhein-Main-Gebiet stammen, wird endlich, endlich Wirklichkeit. Irre, wie lange das immer dauert, die Recherche, Texte schreiben, den Bands nachstellen, Cover gestalten usw. Nun aber kann ich behaupten, dass »Happy Lotto« richtig fein geworden ist. 18 Songs sind drauf, von 18 Bands, die vielleicht maximal 50 Kilometer voneinander entfernt aus Südhessen und in geringen Mengen aus Rheinland Pfalz stammen, die manchmal mehr und manchmal weniger miteinander verbindet, immer aber die Musik und nun dieser Sampler.
Stilistisch bewegt sich »Happy Lotto« zwischen Indie und Rock, subsumiert unter dem Begriff »Music from the Rhein-Mainian Underground«. Dabei habe ich oft auf MP3s zurückgegriffen, die auf den Bandseiten zu finden sind, in Ausnahmen wurden mir aber auch exklusiv für diesen Sampler Songs zur Verfügung gestellt. Tausend Dank dafür. Es empfiehlt sich daher auf jeden Fall, die Datei komplett auf den Rechner zu laden und dann auf CD zu brennen (einfach dem Rapidshare-Link folgen). Denn: »Happy Lotto« ist großartig und unsere Platte des Monats.
PDF-COVER für die CD-Hülle Danke an incredible Till und spectacular Dave, die mit mir das Cover gestaltet und den Titel des Samplers erarbeitet haben. Das verwendete Foto ist übrigens ein Found Footage. Leider haben wir trotz härtester Recherche keinen Urheber ausfindig machen können. Falls hier jemand Einwände hat, bitte melden
auch: Sendung vom 14.09.2006 – 19-20 Uhr – Radio X – zum Livestream
01. STUART WESTCLIFF – A Funny Discussion [SW at MySpace]
Wahrscheinlich leben nicht viele Musiker in Erlensee. Und wer dort wohnt, singt für den örtlichen Liederkranz oder engagiert sich in der Gemeindevertretung. Vielleicht braucht es diese Umgebung auch, dieses morbide Landleben am Rande der Stadt, um Musik zu machen, die irgendwo zwischen Frank Zappa und Money Mark liegt. Stuart Westcliff ist ein orgelnder Bastard, der den Groove unter der Hose sitzen hat. Sein ewiges Talent und seine kontemplative Gelassenheit müssten eigentlich reichen, um hierzulande ein paar Freunde zu finden. Wann wird dieser Mann endlich entdeckt?
02. FASHION OK – Contact Lens
Seit der Veröffentlichung ihrer »Demo Songs« vor zwei Jahren ist bei Fashion OK nicht mehr viel passiert. Selbst für ein paar hübsche Worte über sie hat es nicht gereicht. »Coming soon« ist auf den pastellfarbenen Wänden ihrer Homepage zu lesen. Kein MySpace. Kaum Konzerte. In diesen Worten steckt nicht viel mehr als mein Bedauern, dass Fashion OKs Ära zu Ende sein könnte, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. »Contact Lens« ist aufregend, ohne jede Frage, druckvoll treibend und hip wie Sau. Irgendwo zwischen Hazel O’Conner und den Au Pairs auf 45. Mit 1:58 Minuten mehr als auf den Punkt gebracht. Kann jemand für die Band die Studiokosten übernehmen?
03. LOW 500 – Help me
Muss sich um einen Irrtum handeln, dass Low 500 noch kein Landhaus im Vordertaunus besitzen. Bei Psilos und Vodka würden da ganz sicher einige schöne Songs entstehen, auch wenn man dieser Erfahrung wahrscheinlich schon längst entwachsen ist. Dessen ungeachtet ist »High Commissioner« (Hazelwood), ihr Album aus 05, ein angenehm durchgeknalltes und kompromissloses Gemisch aus Psychedelic und Rock. Songs wie »Help me« begegnet man nicht alle Tage, schon gar nicht in hiesigen Gefilden. Spacige Synthies, dazu ein tiefer, brummelnder Bass und die tolle Stimme des Sängers Sascha Beck.
04. GOOD HEART BOUTIQUE — Marlon [GHB at MySpace]
Keine andere mir bekannte Band hat so die Hummeln im Arsch wie die Good Heart Boutique. Kürzlich ist ihr erster Tonträger auf dem kleinen Berliner Label Staatsakt veröffentlicht worden. »Marlon« ist auch mit drauf. Cooler 60s-Pop. Demnächst ganz sicher auch im Club eures Vertrauens live zu bewundern. [Exklusivtrack]
05. VERLEN – 45 Flamingos
Kürzlich haben Verlen verkündet, nicht länger Verlen sein zu wollen; Proben und Auftritte wurden für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Viel zu früh geht damit ein Kapitel zu Ende, das eigentlich gerade erst begonnen hat, gemessen an der Fähigkeit, gute Songs zu schreiben. In »45 Flamingos« (Waggle Daggle Records) geht es nicht gerade gemächlich zur Sache. Der Song ist mutig, sexy und von Befindlichkeiten inspiriert. Hau-Ruck-Mucke und das schlichte Ergebnis mehrjähriger Zusammenarbeit. Echte Checker, die vier Kelkheimer. Was die Band wohl als nächstes macht?
06. REDONDO BEAT – Don’t Wanna Be Your Friend
»Into the Groove«, ihre Single aus dem Jahr 1999, war ein hoffnungsvoller Aufgalopp, vielleicht sogar der beste Song, den die Band je geschrieben hat (gilt für die 7 Inch, nicht aber für die überarbeitete LP-Version). Damit legten Redondo Beat den Grundstein für ihren bis heute anhaltenden Ruf. Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, die zwei weitere Singles und ein Album zutage brachten. Garage, Psychedelic und White Soul bilden die Grundlage ihrer Musik. Leben am Rande der Mehrheitsgesellschaft. Integration ausgeschlossen.
07. TWIGGY KILLERS – Highschool Boy
Im Schulsport immer gut gewesen und im Klassenzimmer in der letzten Reihe gesessen, frech und aufmüpfig, dann, später, auf die Straße gegangen, zur großen Zeit der Studentenstreiks, und dabei nie die Laune verloren. Gebracht hat das alles nichts, richtig nichts, aber was soll’s. Die Twiggy Killers sind, seit uns ihre Sängerin nicht mehr fortwährend Singles verkaufen will, die beste Live-Band Südhessens. Echte Außenseiter eben. Nicht verpassen.
08. PORNOHEFT – Meine Oma liegt im Sarg
Madpunk. Nichts für’s zarte Gemüt. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass Pornoheft euren Rohling in diesem Vergemeinschaftungsprozess als krasser Außenseiter betreten. Ihr Gesamtwerk umfasst Gewaltausbrüche jedweder Art, Anger-Rock für die Kammer, der zum Schreien komisch ist. Möglicherweise verhält es sich auch genau andersherum, dass die Band nämlich erkennbaren Spaß daran hat, euch das Fürchten zu lehren. Ihr Schockpotential ist enorm. »Meine Oma liegt im Sarg« ist ein Kracher, im wahrsten Sinne des Wortes, überdrehter Noise. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder zaubert euch dieser Song ein breites Grinsen ins Gesicht oder er treibt euch in den Wahnsinn. Für beides muss man sie bewundern.
09. TREND — Was dran liegt
Eigentlich sind Trend eine Landau-Band, das liegt in der Pfalz und meinem Gefühl nach am Ende der Welt. Die Zeit und das Leben haben die Mitglieder allerdings in alle Himmelsrichtungen verstreut, neben eben Landau nach Berlin, Koblenz und Mainz. Zugebeben, sehr konstruiert, ihre Rhein-Main-Zugehörigkeit, dieser Mainzlink, dessen ungeachtet handelt es sich bei Trend jedoch um die geilste Band der Welt und für die bin ich gerne bereit, dass formale Konzept dieses Samplers aufzuweichen. »Was dran liegt« ist die B-Seite ihrer aktuellen Single »Patientenverfügung« (X-Mist), ein kleines, auf sieben Inch gepresstes Kunstwerk, dass in jedem Plattenregal stehen sollte, und ein Lied, das einmal mehr beweist, wie gut diese Band ist. Kauft dieses Teil, wenn ihr im Leben steht! Oder geht zu Mama. [Exklusivtrack]
10. FLOCATI – Im Zeichen der Zeit
»Im Zeichen der Zeit« ist Party. Zu dessen Refrain sollte man eigentlich am Geländer einer Berg- und Talbahn stehen, den Blick auf die Mädchen gerichtet und in der Stimmung, ein besseres Leben führen zu wollen. Der Song ermutigt zum Ausbruch aus dieser Welt und doch steht er mitten drin. So wie er Nostalgie impliziert, ohne unaktuell zu sein. Flocati haben eine Vorliebe für Synthesizer, die die großen Momente schaffen, daneben finden sich eine hart arbeitende Gitarre, Schlagwerk und selbstbewusst vorgetragener Gesang. »Im Zeichen der Zeit sind wir bereit, nach vorn zu schau’n, uns umzudrehen«.
11. DYKO – In Ordnung [D at MySpace]
Dykos Texte muss man lieben, diese subtilen Pop-Statements. Falls ihr mal eurem Nachbarn die Fresse polieren wollt, pusht euch vorher mit diesem Shit. Ihr werdet ihn verprügeln, ohne dabei die Laune zu verlieren, ich schwör euch. »In Ordnung« bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass nichts in Ordnung ist, in dieser Welt nicht und in einer anderen auch. Musikalisch bewegt sich das Duo zwischen New Wave, Neo-NDW und Pop, wie ihn vielleicht New Order machen würden. Schwer in Ordnung, dieser Song. Zum Schreien gut sogar. [Exklusivtrack]
12. KLISCHEE WIE SAU – Freie und Geheime Wahl
Während eines Spaziergangs im Pfälzer Wald beschließen einige Jungzwanziger, eine Band zu gründen. Das war irgendwann im Winter ’97, der Geburtstunde von Klischee Wie Sau. Seither machen sie etwa alle zwei Jahre eine Platte mit Indierock drauf. Kryptomere Alltagsbeobachtungen und überkluge Lebensweisheiten in grau, die meist über schönen Melodien liegen. Und dann irgendwann Gitarre. Solo. Langes Solo sogar. Für den Namen können sie übrigens nichts, der war eines Tages einfach da.
13. CLOUDBERRY — Tearjerker [C at MySpace]
Cloudberry gehören zu der Sorte Musiker, die eine Idee aufgreifen, sie ausformulieren und im gleichen Moment wieder verwerfen. Das bringt ihnen Lieder, die selten über zwei Minuten gehen. Strophe, Refrain, Ende, Schluss, Aus. »Tearjerker« verhält sich da nicht anders. Nach 90 Sekunden ist Schluss. In diesem Zeitgerüst steckt eine kleine Hymne, die auch fünf Minuten hätte laufen können. Aber wie heißt es so schön: Disziplin heißt, sich an das zu erinnern, was man wirklich will! Album: »Destroyer« (Saint Records).
14. SCUT — Elvis died when he joined the army
Ich muss Scut für dieses zauberhafte Lied meinen Dank aussprechen, das mit seiner Waber-Orgel, der Liebe zur Harmonie und seinem schweißtreibenden Gitarrengeschrammel in der Tradition von Bands wie The Chills oder The Dentists steht. »Elvis died when he joined the army« ist großes Liedgut, das eigentlich ein noch größeres Publikum erreichen sollte. Ihr findet den Track auf der CD »Never got tatooed«, die über das Label Tumbleweed veröffentlicht wurde. Und Nicht überrascht sein, wenn ihr eurem Nachbarn beim Hören plötzlich um den Hals fallt; das Gute steckt auch in euch. Kauft diese CD! [Exklusivtrack]
15. ESZELLA GARNI — Morgenrock
Offiziell haben sich Eszella Garni nie aufgelöst, und das, obwohl die Band momentan auf maximal eine Probe im Jahr kommt. Das liegt daran, dass die fünf Musiker noch in 30 Jahren eine Band sein werden, unabhängig davon, ob man Musik macht oder nicht. Die Machtdose fühlt sich Eszella Garni besonders verpflichtet — der Freundschaft wegen. Diese Band hat zur richtigen Zeit die richtige Musik gemacht. Das war vor vier bis sechs Jahren. Laut musste es sein, Verstärker auf Anschlag, und rocken sollte es, was ihnen im Ergebnis die akustische Verwandtschaft zu Dinosaur Jr. einbrachte. Hatten mehr auf dem Kasten als alle verdammten Deutschrockbands zusammen (verzeiht den Begriff). Halleluja.
16. VELVETEEN – Run if you can
Von Velveteen habe ich gelernt, dass englischsprachige Musik deutsch klingen kann. Miles, Readymade, Slut – alles Bands, die einer Schule angehören, die erfreulicher – oder unerfreulicherweise – nie einen Namen bekam. Velveteen können sich diesen Sound gleichermaßen auf die Fahne schreiben. Nur leider ist ihnen im Gegensatz zu ihren Mitstreitern der nationale Durchbruch vergönnt geblieben. Dass da etwas nicht stimmt, beweist der Song »Run if you can«, dem man eigentlich nicht widerstehen kann. Flotter Indiewhatever, der sich auf die gängigen Zutaten dieses Genres beschränkt. Sehr charmant! Nach vier Monaten Studioarbeit und einem, wie sie sagen, großen Album in der Tasche präsentieren sie demnächst wieder live ihre Songs. Hingehen!
17. JANIS ELKO — They Talk
Musik aus dem Bauch, sanft, romantisch und in Schönheit verloren. Janis Elko stammt eigentlich aus New Jersey, wohnt aber seit einigen Jahren in Frankfurt. Hier trifft man nicht oft auf Singer/Songwriter, schon gar nicht diesen Schlages. Ihre klare Stimme und die luftig gespielte Akustikgitarre sind ergreifend. Das will man in voller Albumlänge hören.
18. LIKE A STUNTMAN – Porsches on their way home [LAS at MySpace]
Nicht nur der Titel dieses Stücks bereitet Freude. »Porsches on their way home« ist ein ungewöhnlich komplex ausarrangiertes Lied, das die Liebesbeziehung zweier Cabriolets beschreit. Engstirnigkeit und fehlenden Humor kann man Like a Stuntman nun wirklich nicht vorwerfen: Immer auf der Suche nach Innovation, kombiniert die Band LoFi mit Elektronik, setzt einen akustischen Rahmen, der mit allerlei Klingklang unterfüttert wird, um im Ergebnis wundervollen Pop jenseits gängiger Codes zu entwickeln. Ihr Album »Fresh air is not the worst thing in town«, erschien dieses Jahr auf dem kleinen Londoner Underground-Label Highpoint Lowlife. Hier passen sie offensichtlich nicht hin. [Exklusivtrack]
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wow wow wow.
erstmal geladen, jetzt geht es ans hören. aber vorweg schon mal ein kraftvolles danke für diese idee. und als untechnisch begabter die frage. wie kommt man an das cover und die begleittexte ran? copy and paste? weilwillalleshaben!!!!
cheeeeeeers,
curtis
Na, dieses Lotto gefällt mir: 18 Richtige! Danke, Greg!
Bezüglich des Coverfotos tippe ich auf einen Schnappschuss aus einer englischen Studentendisco kurz nach Ablauf der Happy Hour (ca. 2001)…
Cheers,
Daniel
Meiner Meinung nach habt ihr die wichtigste Band übergangen… COLOURFUL GREY hätten doch bestimmt gern nen Song zur Verfügung gestellt, oder?!
Naja…
CG sind die wichtigste Band? Es gibt in Rhein/Main noch ne Menge musikalische Perlen ( Sushimob, Ingrate, Big Heat, Crowdpleaser ….). Ich vermute mal, dass ein zweiter Teil irgendwann kommt. Zu bedenken ist da eins: Einen Sampler mit 100 Bands (ist im MP3-Format nun mal kein Problem) hört sich niemand komplett an. Da ist es doch besser in gewissen Zeitabständen ne ganze ampler-Reihe daraus zu machen.
dæjà -vu
macht sexy musik oder musik sexy?
danke gegor…
»Wir sind hier nicht in Seattle« lautet die Überschrift zu einem Artikel, den ihr hier findet.
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