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Interview mit Tom Steinle

Gregor: Was hat dich dazu getrieben, dein eigenes Label zu gründen?
Tom: Klarer Auslöser, mich in die Richtung zu bewegen, war die erste Platte von Oval („Wohnton“), die damals mitten in meine Deutschpop-Phase fiel. „Wohnton“ war damals die Schnittstelle, weil es auf dieser Platte noch deutsche Texte gab. Musikalisch hat diese Platte mein ganzes Denken verändert. Ziemlich direkt danach habe ich mir mein eigenes Musikequipment gekauft und angefangen, selber rumzuspielen. Das Alles zog sich über Jahre hin, bis ich irgendwann dachte, ich bin soweit, dass ich vielleicht mal selber eine Platte machen will. Das Album war so gut wie fertig. Die Aufnahmen habe ich in Köln herum gereicht und die Resonanz war eigentlich auch immer recht positiv, aber leider nie so gut, dass es jemand für mich veröffentlicht hätte. Die logische Konsequenz war, zu sagen, dass ich es selber in die Hand nehme. Das war mein eigentlicher Startimpuls.

Das erste Tomlab-Release war eine Tribute CD zu der „Laughing Stock“ von Talk Talk zusammen mit Jens Massel (Kandis) und Jörg Follert (Wechsel Garland). Jeder hatte für sich Stücke gemacht, die sich super ergänzt haben. Das war im Grunde die erste Veröffentlichung auf dem Label. Wir haben damals 100 CD-R Kopien selbst gebrannt, das Cover selbst gebastelt und dann über private Netzwerke vertrieben. Die Resonanz auf diese Platte war so gut, dass schnell klar war, dass ich das alleine zuhause auf meinem Computer nicht mehr hinbekomme.
Gregor: War damals in Köln genug Platz für mehre Labels nebeneinander wie Karaoke Kalk u.ä.?
Tom: Karaoke Kalk hat zu dieser Zeit auch gerade angefangen. Das war zu Zeiten, als die „Saucer“ von Jörg gerade herauskam. Alles war noch sehr frisch. Thorsten von Karaoke Kalk ist etwas mehr im Dancefloor verankert. Er ist selber auch DJ. Das war nie mein Background. Ursprünglich war die Idee auch nicht so konkret, ein Label zu betreiben. Die Idee war vielmehr, einfach mal was zu veröffentlichen und zu schauen, was passiert. Mein eigentlicher Wunsch war, das eigene Projekt Summer DSP zu veröffentlichen. Die „Visor“ mit Jörg Follert und Jens Massel ist noch dazwischen gerutscht. Die ganze Sache hat sich dann schrittweise in eine Richtung entwickelt, die am Anfang nicht so geplant war.
Gregor: Was hat sich seit dem Beginn vor fast sechs Jahren alles verändert?
Tom: Die Labelarbeit hat sich in eine Richtung entwickelt, wie ich sie damals nicht erwartet hätte. Ich habe damals Fulltime nebenher gearbeitet und hatte meinen normalen Job. Ich bin eigentlich Maschinenbau-Ingenieur. Das Label habe ich nebenbei nur mitgezogen, wie es sich gerade einrichten ließ. Manchmal war es sehr schwierig, weil einfach zu viel Zeit für den Job drauf ging. Am Anfang habe ich Tomlab mehr als Hobby betrachtet, um eine Balance zu haben zu diesem sehr trockenen Job. Mit den Jahren wurde es für mich wichtiger, mehr Zeit für das Label zu investieren. Es sind auch immer mehr Künstler dazu gekommen über Demos, die bei mir eingegangen sind. Irgendwann habe ich gemerkt, dass sich die Balance verschiebt zwischen meiner Arbeit und dem Label, mit dem ich damals einfach noch kein Geld verdienen konnte. Irgendwann habe ich dann angefangen, die Arbeit mit dem Label zu intensivieren.
Gregor: Die Tomlab-Releases fallen alle sehr unterschiedlich aus. Es scheint, als wolltest du dich einer Kategorisierung entziehen. Alles ist möglich auf Tomlab. Was ist alles?
Tom: Alles bezieht sich immer auf einen Moment, auf den Moment, in dem ich Musik bekomme, mir das anhöre und dann so gut finde, dass ich denke, es müsste veröffentlicht werden. Insofern kommt sehr viel persönlicher Geschmack dazwischen, der sich über die Jahre auch ein bisschen verändert. Über die Jahre ist es jetzt auch so geworden, dass mir die Leute auch anderes Material schicken als früher. Ich bekomme inzwischen auch popigere Sachen, auch mehr Dancefloor, was am Anfang nicht der Fall war. Am Anfang war der Background sehr experimentell und elektronisch. Entsprechend klangen auch die Demos, die bei mir eingegangen sind. Die Idee für das Label war nie, einen abgesteckten Rahmen zu vorzugeben, sondern immer erst mal offen zu sein, einerseits dafür, was man so zugeschickt bekommt, andererseits sagt einem der eigene Geschmack, was man veröffentlichen möchte. Es gibt super viel Musik, die ich gerne veröffentlichen würde, die leider nicht in meinem Demo-Breifkasten sind. Es ist auch so, dass ich wenige direkt anspreche, sondern immer die Tendenz hatte, Demos von Leuten, die ich noch nicht kannte, zu veröffentlichen. Genau das ist der Prozess, in dem das Label drinsteckt. Je länger das geht, umso mehr Leute kennen das Label. Immer mehr Leute schicken dir ihre Musik zu usw. Es ist nie klar, wo sich das musikalisch hin entwickelt. Im Moment ist die Tendenz gitarrenlastig, wobei ich nicht weiß, was daraus in zwei Jahren wird.
Gregor: Die Grenzen sind fließend, die gegenseitige Befruchtung allgegenwärtig. Ist die Unkategorisierbarkeit ein typisches Merkmal unserer Zeit?
Tom: Ich denke, man muss zwischen Fakten und Strategien trennen. Bei mir ist es ganz klar Strategie, dass das Label in viele Richtungen gehen soll und nicht nur in eine bestimmte. Das hat sicherlich mit der Gleichzeitigkeit vieler Musikrichtungen zu tun, mit der wir gerade konfrontiert werden, hat diese Gleichzeitigkeit nicht als Grund. Aus meiner Sicht sind das sehr verschiedene Dinge. Für mich ist es einfach sehr wichtig, in vielen Bereichen zu arbeiten, weil das mein Interesse offener hält und weil es ganz einfach die Möglichkeiten für das Label stärker öffnet, weil man nicht nur in einem Bereich hängt, sondern immer die Möglichkeit hat, die Fühler in verschiedene Richtungen auszustrecken und Netzwerke zu bilden mit vielen Leuten aus verschiedenen Hintergründen. Das war für mich immer auch Wunsch, das so zu handhaben. Insofern also auch eine Strategie.
Gregor: Tomlab-Produkte sind gewöhnungsbedürftig. Was hindert dich daran, Musik zu veröffentlichen, die eingängiger ist und sich unter Umständen viel besser vermarkten lässt?
Tom: Ich hätte nichts dagegen, Musik zu veröffentlichen, die eingängig ist und sich gut verkaufen lässt. Für mich ist allerdings sehr wichtig, wie viel Substanz Musik hat. Ich würde natürlich gerne eine tolle Hitplatte machen. Da kommt aber wieder der Demo-Briefkasten ins Spiel, dass man eben auch nur die Musik veröffentlichen kann, die unter deiner Regie veröffentlicht werden will. Ich könnte jetzt nicht auf Stereolab zugehen und sagen: „Ey, macht doch mal ’ne Platte für Tomlab“. Also muss man in der Zeit, in der man sich bewegt und in seinem eigenen Umfeld wachsen, sich entwickeln und schauen, wo das hingeht. Ich kann nicht sagen, dass ich ausschleißen würde, dass ich auf Tomlab Sachen mache, die eingängiger sind.
Gregor: Viele elektronische Labels, denen du ja im engeren Sinn auch angehörst, haben nicht viel mit Textarbeit am Hut. Du hingegen scheinst Musik mit Texten zu mögen.
Tom: Ja, ganz klar! Das hat sich im letzten Jahr herauskristallisiert. Ich arbeite nicht nur mit Leuten zusammen, die Vocals in ihre Songs integrieren, sondern eigentlich arbeite ich im Moment mit Songwritern zusammen. Casiotone (Tomlab 21) ist aus meiner Sicht ein Songwriter, die Mantler Veröffentlichung (Tomlab 22) ist eine ganz klare Songwriter-Platte, auf der die Texte sehr viel Substanz haben. Ein anderes Ding ist The Books (Tomlab 20), die sehr stark assoziativ arbeiten und Voice-Samples in ihre Musik integrieren, die ironisierende Kommentare gerade auch zur Politik in Amerika abgeben. Bei Casiotone ist es so, dass er ganz viele traurige Lovesongs schreibt und das er damit ein klassisches Klischee erfüllt, obwohl er selbst überhaupt nicht unglücklich verliebt ist und es auch nie jemals war.
In den letzten Jahren sind die Songwriter einfach ein wenig übersehen worden. Für mich waren Songs immer superwichtig, mit ihnen bin ich groß geworden.
Gregor: Ist es nicht an der Zeit, das traditionelle Songwriting musikalisch zu erneuern?
Tom: Es gibt ja bereits Musiker, die diesen Ansatz verfolgen. Ich mag beispielsweise Robinson, der schon seit Jahren kaum wahrgenommen wird. Robinson betreibt schon seit über 15 Jahren Teenbeat und hat selbst bei Unrest gespielt und dazwischen viele andere Projekte gemacht. Inzwischen bringt er unter seinem Namen Platten heraus — Gitarre, Drumcomputer, ein bisschen Elektronik dazu — sehr frische Musik, die man im Moment gar nicht so hört, weil die Platten nur über Import zu bekommen sind. Es gibt ganz sicher Musiker, die in diese Richtung gehen. Ich persönlich halte das für eine große Herausforderung, den ganzen Kram miteinander zu kombinieren. Das ist auch der Ansatz, den ich mit Tomlab derzeit verfolge.

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