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Die besten Alben 2024 – Plätze 10 bis 7

Wir sind wieder dabei, wir sind wieder im Game. Wir wissen, das Vergnügen liegt ganz auf unserer Seite, wir hoffen, es lesen trotzdem ein paar mit, wenn wir uns selbst erklären, warum unsere Lieblingsalben 2024 unsere Lieblingsalben 2024 sind.

Und hier sindse:

Gregors Nr. 10:
Magdalena Bay – Imaginal Disk
(Polydor / Universal)

Mica Tenenbaum und Matthew Lew sind Magdalena Bay. Ihre Musik: Ins Silberbad getauchte Top-40-Arrangements. Aus welchen Charts, lässt sich nicht genau sagen. Aber der Reihe nach. Fünf Jahre sind seit ihrem gefeierten Debüt „Mercurial World“ vergangen. Zuvor hatten die beiden bereits zusammengearbeitet, sowohl in ihrer Highschool-Progrock-Band Tabula Rosa als auch bei einer Reihe von EPs unter dem Namen Magdalena Bay. Die vergangenen fünf Jahre verbrachte man schließlich auf Tournee-Bühnen, ihrem Tik-Tok-Kanal und selbstverständlich im Studio.

In den Überlieferungen zu Magdalena Bays jüngstem Album ist die „Imaginal Disk“ ein CD-ähnliches Objekt, das als extraterrestrische Botschaft in das Gehirn eines Affen eingelegt wurde. Die Schöpfungsgeschichte beginnt hier mit einer Figur namens True. Eines Tages begibt sich True auf eine Reise, um herauszufinden, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Diese Geschichte wurde in Musikvideos, die zusammen mit vielen Singles des Albums veröffentlicht wurden, ausgiebig entwickelt. Soweit, so Konzept. Das Album selbst sei ein musikalisches Handbuch zur Erforschung des Bewusstseins und die Videos lediglich schmuckes Beiwerk, so die Erklärung der beiden. Zum Glück hat man bei so viel Phantasma das Musikmachen nicht vergessen. „Imaginal Disk“ ist Avantgarde-Pop aus dem Oberstübchen – kunstvoll, eingängig, verwirrend, komplex und gekonnt überproduziert. Songs, die in völlig unterschiedlichen Welten beginnen und enden, oft sogar in unterschiedlichen Genres. Passt irgendwie, dass die beiden in Miami leben.

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Rolands Nr. 10:
Myriam Gendron – Mayday
(Chivi Chivi)

Retro wie das Cover die Musik. Klingt nicht nur nach frühem Dylan, sondern tatsächlich melodisch ganz „grundsätzlich“ und oft nach Volkslied. Ist es dann nicht selten auch, Myriam Gendron hat dafür entsprechende Weisen aus ihrer frankokanadischen Heimat aufgegriffen, aber natürlich auch verwandelt und mit Zeitigem angereichert, dann kommt etwa Vogelzwitscher bis Freejazz Saxophon dazu. Wer’s liest und abgeschreckt ist: don’t, klingt nämlich tatsächlich durchgängig wunderschön.

Das macht nicht zuletzt die sonore, tiefe Stimme. Hie und da auf französisch singen hilft sicher auch, bei meinen Ohren jedenfalls. Gendron, so las ich, hat eine Zeitlang in Paris als Straßenmusikerin sich durchgeschlagen, ging zurück nach Montreal, arbeitete dann lange als Buchhändlerin, auch als sie schon Musik veröffentlichte und steigt jetzt erst, mit ihrem dritten Album, Vollzeit ein ins Musikgeschäft. Möge sie uns lange erhalten bleiben.

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Gregors Nr. 9:
Les Amazones D’Afrique – Musow Danse
(Real World Records)

“Musow Danse” ist das dritte Studioalbum des west- und zentralafrikanischen Superkollektivs Les Amazones d’Afrique. 2014 von den Malierinnen Mamani Keïta, Mariam Doumbia und Oumou Sangaré gegründet, um der Ungleichbehandlung der Geschlechter entgegenzuwirken und ihr eine feministische Stimme zu verleihen, entwickelt sich das Kollektiv seither ständig weiter. Musik aus 1000 Jahren, Tönen und Schattierungen.

Und ja, dieses scheinbar ständige Durchwechseln der Besetzung ist für sich genommen schon spannend genug. Von 2014 ist nur Mamani Keïta übriggeblieben. Neu an Bord sind Fafa Ruffino aus Benin, Kandy Guira aus Burkina Faso, Dobet Gnahoré von der Elfenbeinküste und Alvie Bitemo aus der Demokratischen Republik Kongo. Da kommen einige Sprachen und Dialekte zusammen. In dem Song „Queen Kuruma“ beispielsweise singt Fafa Ruffino in vier verschiedenen afrikanischen Sprachen (Fon, Bariba, Dendi und Yoruba), Alvie Bitemo kommt auf drei (Doondo, Lingala und Kinyarwanda) – auf „Musow Danse“ wird in einer Vielzahl von Sprachen gesungen, die in Westafrika verbreitet sind – am Ende  des Albums angekommen sollten dann praktisch alle ihre Mission verstanden haben. Und alle, die nicht von dort kommen, lesen sich bitte die englische Übersetzung auf Bandcamp durch.

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Rolands Nr. 9:
Tristan Arp – a pool, a portal
(Wisdom Teeth)

Ich gehe jetzt mal davon aus, Tristan Arp, von dem ich praktisch nichts weiß, hat sich seinen Nachnamen fürs Kunstmachen zugelegt und dann nicht umsonst vermutlich nach dem Universalkünstler Hans / Jean Arp benannt, der auch einer meiner ganz großen Helden ist. Und Tristan macht eben offenbar auch vieles auf vielen Kanälen: Malen, Aufnehmen, Sound- und VideoIínstallationen usw. usf.

Das Album wuirde mir eher zufällig zugespült und ist eindeutig eine Wasserplatte, wie auch schon der treffende Titel verrät. Es schwappt, tröpfelt und plätschert aus allen Ritzen, Musik aus der Therme, zum Warmwasserzurücklehnen, berieseln und durchfluten lassen.

Es sind viele Becken, durch die man steigen darf, vom Sprudelbad bis zur Salzlake, die einen totesmeerartig trägt – will sagen: ausreichend Abwechslung bei allem Soundeindeutigem ist immer gegeben.

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Gregors Nr. 8:
Michael Kiwanuka – Small Changes
(Polydor / Universal)

Mollig warm soll sie sein, die Winterjacke, vor Wind und Regen schützen und jedem Unwetter trotzen. So wie wahrscheinlich Kiwanukas neues Album „Small Changes“. Ist das belanglos? Ist das Einlullerei mit gelegentlichem Aufseufzen, wenn doch mal ein Tropfen durch die Epidermis dringt? Ich bin noch unentschlossen. „Kinwanuka“ wurde schnell zum Klassiker. Auch für mich. Fünf Jahre sind seit dem legendären Album-Release vergangen und zu meiner großen Überraschung habe ich für „Small Changes“ sogar die Countdown-Funktion von Spotify bemüht.

Das lag wohl auch am Druck in der Luft. Das Soul-Monster, das alle erwartet haben, ist es letztlich nicht geworden. Kiwanuka lässt die Sounds diesmal ruhen, spricht mehr aus dem Herzen. In gewisser Weise steht ihm das als frischgebackener Familienvater auch zu. Das Zubettbringen gelingt leichter, wenn es als beruhigend erlebt wird. Das geht zwar auf Kosten der Hits und Banger – erst mal. Kiwanuka ist jetzt 37 und die Lebenserwartung seiner Generation steigt. The future is unpredictable.

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Rolands Nr. 8:
Haley Heynderickx – Seed of a Seed
(Mama Bird)

Wie Ihr seht und hören werdet, gibt es dieses Jahr bei mir eher wenig ganz neue, umwälzende, andersartige Sounds bei den Alben, dafür mehr Ruhiges, Harmonisches, Vertrautes. Am deutlichsten vielleicht bei diesem Album, das sich thematisch rund um allerlei Gartenmetaphorik sanft gitarrierend hinrankt. Küchenpsychologisch, aber tatsächlich naheliegend: es steht zu vermuten, dass ich gerade eskapistische, unkomplizierte, warme Musik suche. Und warum auch nicht, angesichts des tösenden Drumherums, muss ich wohl nicht weiter erklären. Nächstes Jahr wird mir dann wahrscheinlich sogar Gesang zu anstrengend sein.

Hier aber noch nicht, Zartbesaitete wie ich werden’s also mögen.

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Gregors Nr. 7:
Amyl and the Sniffers – Cartoon Darkness
(Rough Trade)

Album Nummer 3, das erste von ihnen, das ich mir angehört habe. Vorher kannte ich nur ihren Live-Mitschnitt auf KEXP von 2021 und ein paar Singles, die nur einen Schluss erlaubten: Mullumbimby, jene etwa 4.300 Einwohner zählende Stadt am Fuße des australischen Mount Chincogan, ist für lärmende Gitarren und rotzigen Gesang scheinbar die Nabelschnur zur Welt. Ja, „Cartoon Darkness“ ist die beste Punkrock-Platte des Jahres und sie stammt von Leuten aus Mullumbimby, das sei hier schon mal verraten. Mehr noch als die Band selbst interessiert mich das Umfeld, in dem ihre Musik gedeihen konnte. Auf den Bildern des Städtchens spürt man sie förmlich, die gelebte Utopie. Mullumbimby ist nämlich ­– wenn überhaupt – bekannt für seine Hippie-Subkultur und seine florierende Musikszene.

What? Das passt ja überhaupt nicht zum stereotypen Leute-vom-Land-Klischee. Hier will man sofort hin. Dass dieses Umfeld natürlich großen Einfluss auf Amy Taylor hatte ­­– den Kopf der Band – ist klar. Sie erklärt dann auch gerne, dass Hippies, Bauern und „Bogans“ – Typen, die viel fluchen und Bier trinken – ihren Kampfgesang enorm geprägt haben. Wahrscheinlich in Form und Inhalt. Klingt alles sehr spannend. Working-Class-Slang, Selbstermächtigung und Feminismus ­– alles Teil Ihres Selbstverständnisses. Kritisch besungen werden auch der digitale Konsum, Hass im Internet und der ganze 20-Something-Mist. Spaß macht’s btw trotzdem.

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Rolands Nr. 7:
Zoot Woman – Maxidrama
(ZWR)

Was für eine schöne Rückkehr. Einfach, ganz einfach, dafür aber äußerst effektvoll. Was ich erst mit diesem Album begriffen habe, Zoot Woman sind die Elektro-Phoenix, die gleiche Unbeschwertheit, die gleiche Harmoniesucht, der ganz ähnliche Gesang, es werden halt wirklich nur die Synthie-Regler mehr reingedreht, die brummen, dröhnen und sausen als wären sie nie weg gewesen. Waren sie ja auch nicht, mir ist eben nur melodischer Elektropop in Reinform länger nicht mehr untergekommen und wirkt dann einfach freudig stimmungsaufhellend.

Das Ausrufezeichen ist hier also nicht umsonst gesetzt, für gesetzte Herrschaften wie mich selbst hat es auch die Tanzhärte, die noch meine müden Knochen aufbringen können.

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