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Die besten Alben 2024 – Plätze 6 bis 4

Gregors Nr. 6:
Shay Hazan – Wusul
(Batov Records)

Nach seinem viel beachteten Debütalbum „Reclusive Rituals“ hat Shay Hazan nun sein zweites Soloalbum veröffentlicht. Und jetzt wird‘s kompliziert, weil hier viel zusammenläuft, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Die Musik des Nahen Ostens zum Beispiel, kombiniert mit viel Jazz auch – hier vertreten durch Tenorsaxophon, Gnawa, Gitarre, Perkussion –, als Topics HipHop-Beats, elektronisches Klingklang und Afrobeats und am Ende schön knusprig vergepackt in ein Groove-Mäntelchen.

Shays Signature-Instrument ist die Guembri, eine marokkanische Basslaute mit drei Saiten, die hier noch einen Extrasatz verdient. Man ahnt es: Die Songs entwickeln und verändern sich ständig, geht ja gar nicht anders, wenn jeder Ton mal erklungen sein will. „Wusul“ ist übrigens eine Hommage an sein erstgeborenes Kind. Auch Shay Hazan ist das erste Mal Vater geworden, so wie Michael Kiwanuka (Platz 8) und Joe Talbot (Platz 5). Musste mal erwähnt werden, auch weil es so auffällt.


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Rolands Nr. 6:
SPRINTS – Letter to Self
(City Slang)

Seit ein paar Jahren ist in Sachen Krachgitarre Dublin Welthauptstadt. Dies‘ Jahr sind SPRINTS mit ihrem Debüt nicht mal die Meistgefeierten von dort – sondern andere Bekanntverdächtige. Bei mir aber schon! (kleiner Spoiler für die weiteren Plätze).

Ihr Name passt, einmal wegen der Großbuchstaben, weil halt LAUT und dann nochmal, weil sie in praktisch jedem Song mindestens einmal richtig losrennen.

Vor ein paar Wochen dann live gesehen und da haben sie auch ordentlich gewirbelwindt, gaben sich wie zu erwarten supersympathisch, weil sie es ja auch sind. Was mir außerdem gut gefällt, bedient gar nicht mal so sehr die Postpunk-Schublade, ich würds schlicht Rocknroll nennen.


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Gregors Nr. 5:
Peggy Gou – I Hear You
(XL Recordings)

Gekonnt überproduziert ­– siehe Platz 10 – ist auch das Album „I Hear You” von Peggy Gou. Hüpfburgenmusik mit Riesenrutsche, aufblasbarem Trampolin und Bällebad. Die perfekte Musik zum Toben, Rennen, Klettern, Rutschen, Springen und, ähm: Tanzen? Natürlich! Outdoor und bei strahlendem Balearenblau. Vielleicht noch ein paar Tatsachen zur Einordnung: Peggy Gou (eigentlich Min-ji Kim) stammt aus Südkorea, ist Musikproduzentin, DJ, Modedesignerin und lebt in Berlin.

Es gibt Leute, die behaupten, sie sei vielleicht eine der beliebtesten DJs weltweit. Vielleicht. Bekannt ist sie allemal (seit kurzem auch mir). Nach zahlreichen Singles, einer Übersingle – (It Goes Like) Nanana – und diversen EPs erschien im Juni nun endlich ihr Debütalbum. „Nanana“ ist zwar der zentrale Track und mit 660 Millionen Plays weit außerhalb meiner üblichen Wahrnehmung, aber alles drumherum ist trotz des Gefälles feinster Hungboo, um in der Sprache von Gou zu bleiben, toller, pumpender Vintage-90s-House, der von einer starkern künstlerischen Handschrift geprägt ist. Sie selbst sagt sinnigerweise K-House dazu.


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Rolands Nr. 5:
Fink – Beauty In Your Wake
(R‘CCOUP‘D)

Manchmal bin ich ganz schön oberflächlich. Das Plattencover jedenfalls hat mich fast davon abgehalten, überhaupt reinzuhören, weil: sieht Finian Paul Grenall, der als Fink firmiert (nicht mit der deutschen Band verwechseln), nicht aus wie jemand, der einem bei grünen Tee ostasiatische Philosophie und Mediation nahebringen will? Alles Dinge übrigens, die ich auch schätze und praktiziere, aber darum geht es doch gar nicht!

Beim Ersthören blieben die Vorbehalte, weil: so wirklich raffiniert ist das nicht, oder, halt Akustikgitarren und Gesang. Nur habe ich es dann doch öfter gehört als gedacht und jetzt liegt das Album plötzlich weit vorne in meinen Charts.

Wie so bei jedem Lied die Akkordfolgen monoton kreisend gespielt werden, um darüber Intensität aufzubauen, da steckt doch bestimmt irgendsoeine Meditationstechnik hinter?


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Gregors Nr. 4:
Idles – Tangk
(Partisan Records)

Brexit hin oder her: Dass ein Album wie „Tangk“ auf Platz eins der britischen Albumcharts landet, muss den Engländern erst mal jemand nachmachen (selbst die Fontaines D.C. schafften nur Platz 2). Es ist also doch nicht alles misérable auf der Insel, die Idles schon mal gar nicht und „Tangk“ noch viel weniger. Das Wilde, Rohe und Kraftvolle, das die Rebellanten aus Bristol bisher auszeichnete, setzt sich hier zwar nicht konsequent fort, dafür geht es jetzt ausgefeilter und zugänglicher zur Sache. Tangk ist aber noch lange kein reines Schönwetteralbum geworden, bei dem die Wetterfühligen „Sunshine Guilt“ verspüren.

Das Gesellschaftskritische ihrer Texte fiel zwar dem Wort „Liebe“ zum Opfer (das Wort kommt auf dem knapp 40-minütigen Album insgesamt 29 Mal vor), aber sind wir mal ehrlich: Ist heute nicht alles Gefühl, also Feeling, und die Idles lediglich Opfer eines gesellschaftlichen Wandels? Sorgen muss man sich nämlich nicht um die fünf Koryphäen des Postpunk. Während 95% der heute veröffentlichten Musik die Liebe als reine Gefühlsduselei verkauft (mit all dem dazugehörigen Ego-Weltschmerz), scheint es Sänger Joe Talbot mehr um den Wunsch nach einer besseren Welt zu gehen. Dieses Ziel wurde schon immer mit viel Liebe erreicht. Und außerdem geht es – zwar weniger direkt als auf den früheren Alben – weiterhin um soziale und politische Themen. Ein Crowd-Pleaser in vielerlei Hinsicht!


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Rolands Nr. 4:
Beth Gibbons – Lives Outgrown
(Domino)

Selten war’s bei mir so, dass schon nach wenigen Takten praktisch jedes Lied sich so eingebrannt hat, als wäre es schon immer da und hätte ich es schon immer gekannt. Was sicher auch an Beth Gibbons selbst liegt, die von sich aus gleich ihren eigenen Referenzraum und Bezugsrahmen mitbringt. Dennoch, ungefragt und uninteressant, weise immer immer gerne drauf hin, wenn mal die Rede auf Portishead kommt: war nie wirlich großer Fan.

Hier aber sofortiges Einrasten: Mit dem ganzen Perkussionbeiwerk und orchestralen Arrangements verfugen sich Stimme und Musik ganz außerordentlich und sind sofort als Einheit da. Mich wundert auch nicht, dass das Album zehn Jahre oder ähnlich in the making gebraucht haben soll. Also: Instantester Classic – wenn es je einen gab.

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