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Die besten Alben 2024 – Plätze 3 und 2

Gregors Nr. 3:
Angélica Garcia – Gemelo
(Partisan Records)

Das letzte spanischsprachige Album, das ich rauf und runter gehört habe, war „Buena Vista Social Club“ von 1996. Das ist schon deshalb peinlich, weil Spanisch eine fantastische Singsprache ist. Angélica Garcia, in den USA geboren und Tochter mexikanischer und salvadorianischer Vorfahren, singt auf „Gemelo“ bis auf wenige Sätze also Spanisch, die Sprache, die etwa 65 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten sprechen. Eine davon ist ihre Großmutter, die ihre englischen Lieder nie verstand. Garcia wuchs in einem stark von der Latino-Kultur geprägten Umfeld in East Los Angeles auf. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als Selbstfindungsprozess – hier die zentrale Idee.

Garcia kann übrigens auch ausgezeichnet singen, mit großem Stimmumfang und emotionaler Tiefe, mal fastschreiend, mal geisterhaft. Ganz gelegentlich erinnert sie mich sogar an Elizabeth Fraser, die Frau, die mit ihrer Engelsstimme meine Teenagerjahre bereicherte. Außer der Sprache und dem Gesang fehlt aber noch eine letzte Besonderheit. Es gibt vier Hits auf dem Album – vier von zehn. Garcia war ihr Leben lang von Musik umgeben – ihre Mutter war ebenfalls Musikerin und hatte unter dem Namen Angelica einen Top-40-Hit, ihr Stiefvater arbeitete als A&R, bevor er Priester wurde – da ist das Hits schreiben vielleicht sogar naheliegend. „Gemelo“ ist also ein in vielen Teilen großartiges Album mit ganz wenigen Schwächen. Experimenteller Pop mit lateinamerikanischen Einflüssen, stellenweise elektronisch abgebremst. Sie selbst wollte, dass es ungefähr so klingt: „Como Radiohead, pero con trasero“. Nix comprendido? Ab zu DeepL!


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Rolands Nr. 3:
UTO – When all you want to do is be the part of fire
(InFiné)

Auch wenn Gregor die Metaphorik schon für Peggy Goo bemüht hat: ein einziger Kindergeburtstag. Was also für das Spielerische stehen soll, denn wenn ich jetzt „Elektropop“ zur Einordnung schreibe, greift das ein bisschen kurz, es ist schon stellenweise weit übers Poppige hinaus aufs Tanzen ausgelegt, dann wieder ganz simple ruhige Nummern oder es wird einfach so ein bisschen herumexperimentiert. Auf jeden Fall wussten UTO, ein mir bisher unbekanntes Duo aus Paris, zu überraschen mit diesem sehr unterhaltsamen Album, das ihr zweites ist.

Der untere Session-Auftritt ist offen gesagt nicht sooo überzeugend, das Album dafür aber umso mehr, sonst wärs ja auch nicht meine Drei, ne.


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Gregors Nr. 2:
Nick Cave & The Bad Seeds – Wild God
(Play It Again Sam)

Für mich war es das Konzert des Jahres: Nick Cave & The Bad Seeds live in Berlin. Nick Cave begleitet mich seit 1984, seit dem Release von „From Her to Eternity“. Ich habe seine Songs immer gemocht, mal mehr, mal weniger. Über 40 Jahre Relevanz und Verlässlichkeit – wer kann das schon von sich behaupten? Im Vorfeld des Konzerts hat sich bereits lose angekündigt, dass er sich von der Menge auch nicht mehr als Messias feiern lassen wird (was die erste Reihe im Saal nicht davon abhielt, ihn genau so zu feiern). Zurückgenommenheit tut es plötzlich auch, schließlich hatte er nicht nur den charismatischen Radiohead-Bassisten Colin Greenwood und Swans-Drummer Larry Mullins an seiner Seite (Martyn Casey fiel aus), sondern auch einen Großteil der angestammten Bad Seeds. Vor allem Warren Ellis, der entrückte Multiinstrumentalist mit dem bauchnabellangen Rauschebart und Thomas Wydler an den Drums nahmen sich ihren Raum. Zusammen mit dem grandiosen Backgroundchor stand da also eine Band auf der Bühne, die auch als solche wahrgenommen wurde.

Zuvor hatte Nick Cave sein 18. Studioalbum veröffentlicht, was mich überhaupt mal wieder dazu brachte, ein Konzert von ihm zu besuchen. Vor allem war die stetige Weiterentwicklung seines Sounds die eigentliche Überraschung, orchestraler als zuvor ist es, deshalb auch ausarrangierter, zurück sind (endlich) auch die ekstatischen Ausbrüche, die ich so liebe, es schwebt und leuchtet und dann dieser Chor­ – gerade so viel Gospel, dass es die Stimmung nicht zersetzt. „Wild God“ verbindet auf geniale Weise den meditativen, fließenden Sound der unmittelbaren Vorgängeralben mit der für die Bad Seeds so typischen Muskelkraft. Seine dunklen Jahre sind offensichtlich vorbei. Nick Cave blickt der Zukunft wieder positiv entgegen.  Wer seine Geschichte kennt, darf sich darüber freuen. “We’ve all had too much sorrow, now is the time for joy” (aus: “Joy”)


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Rolands Nr. 2:
Floating Points – Cascade (Pluto / Ninja Tune)

Floating Points schwirrt neben Caribou, Four Tet und anderen Konsorten schon jahrelang herum, immer mal wieder mit dem einen oder anderen Electronica-Track, der mich zum Mitwippen überreden konnte. Dann wieder mit einer Reihe ambitionierter Projekte, zuletzt das für mich persönlich doch zu sehr weichgespülte, dafür aber kritikerseits gefeierte mit Pharao Sanders. Gerade wenns in die Ambition ging, wurde ich nicht davon abgeholt.

Jetzt aber ein Album schlicht mit 4-to-the-floor Brettern, wobei die Albumdramaturgie strikt vom brettigsten bis runter zu eher unspektakulären Tracks sich ausfadet: dennoch allein die ersten vier Stück sind schon tollste Schwuppdiwuppdinger. Deshalb verdient bestes Elektronikalbum dieses Jahr.

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