Listen sind ja sooo 90er, wir tun es trotzdem, und zwar Jahr für Jahr – da darf natürlich auch der Rückblick aufs Jahrzehnt nicht fehlen, der uns gerade recht kommt. Das funktioniert so: die notorischen Machtdose-Jahresbilanzierer (Gregor, Seb & moi) werden in einem je eigenen Beitrag ihre Top 10 kommentierend und nachfolgende Plätze 10-20 tabellarisch präsentieren. Ihr seid alle herzlich dazu eingeladen, jeden nur erdenklichen Kommentar dazu abzugeben: nennt uns die Platten, die wir schändlicherweise vergessen haben oder die, die wir ungerechtfertigt reinnahmen, macht eigene Listen, verratet schlicht Euer Lieblingsalbum oder lasst uns an sonstigen schönsten Plattenerinnerungen dieser seltsamen Phase der Nuller Jahre teilhaben, die ja gerade in Sachen Hörgewohnheiten dicke Umwälzungen brachten, etwa die, dass die Kategorie „Album“ schon zweifelhaft geworden ist. Wir wünschen in jedem Fall rege Beteiligung, also: auf auf!
Wie immer kann man übers die zugrundeliegenden Kriterien & das Zustandekommen solcher Listen sich so seine Gedanken machen, gerade wenn es über einen längeren Zeitraum geht. Was nimmt man da nun rein, was nicht? So könnte man versuchen, den eigenen Geschmackshorizont zu objektivieren, indem man nach dem langfristen Einfluss einer Platte fragt usw. Wahrscheinlich ändert sich ja aber doch nichts: die dabei herauskommende Liste bleibt nichts als Momentaufnahme. Ich habe mich daher gleich für einen völlig subjektiven Blickwinkel entschieden, indem ich einfach durch die Jahresarchive gegangen bin und dort reingehört habe, was mir auswählenswert schien. Und das, was ich immer noch mit annähernd oder gleichem Vergnügen wie damals hörte, hatte die besten Chancen. Weshalb wohl meine Liste auch so ausfällt, wie sie ausfällt: mit einer Top Ten, die keine Platte nach 2005 nennt. Nicht dass ich denke, dass danach nichts preiswürdiges gab, aber wahrscheinlich hat so ein Stöbern im Alten gerade den Effekt, dass man die langvergangenen Dinge besonders abfeiert und die jüngeren es dagegen schwerer haben. Die müssen sich ihr Klassikersein erst noch verdienen und sich langsam hocharbeiten, scheints. Auch mit meinen bisherigen Jahresbestenlisten hat die untere nur bedingt zu tun, wie der treue Leser wahrscheinlich gleich merkt.
ROLANDS Best of 2000er
1. Sufjan Stevens – Sufjan Stevens Invites You To: Come On Feel The Illinoise [Asthmatic Kitty] (VÖ: 11.07.2005)
Gut, da musste ich jetzt nicht lange überlegen. In allen denkbaren Kategorien Nummer Eins, das am häufigsten gehörte Album, das beste Lied des Jahrzehnts drauf („Chicago“), so reich, nachhaltig, übervoll, dass selbst der manchmalige Hang zum Übertriebenen und Überkonzeptionellem beim Sufjan (alle 786 Instrumente einer Platte mal schön selbst einspielen, den Liedern Titel in Kurzromanlänge verpassen, das 50-States Project in seiner Größenwahnsinigkeit usw. usf.) auch egal ist, wenns nämlich zugleich übertoll bleibt. War 2005 aus einer Laune heraus von mir nur auf Rang 2 gesetzt worden, aber da wusste ich schon, dass das eigentlich nicht ganz richtig ist.
2. Joanna Newsom – The Milk-Eyed Mender [Drag City] (VÖ: 03.05.2004)
2004 von mir zum Spitzenalbum gekürt, damals noch relativ relativierend, aber mittlerweile längst einer meiner persönlichen Schätze. Da kann ich nicht nur mal so in ein Lied reinhören, dann höre ich nämlich gleich wieder alles. Während der Nachfolger „Ys“ zwei Jahre später übertrieben abgefeiert wurde, hätte diese Platte solche Lobeshymnen eher verdient gehabt, weil hier pur zu Tage trat, was diese Musik auszeichnet: der Kontrast. Auf der einen Seite die Schönheit spinnende Harfe, Engelsmusik eben, demgegenüber der gequäkte, widerborstige Trollgesang. Dies Süßherbe ist es, was die Spannung und damit auch die Platte frisch hält.
3. Four Tet – Rounds [Domino] (VÖ: 05.05.2003)
Eine Art Initialzündung (für mich), woraus (für mich) einiges anderes folgte: Prefuse 73, Caribou, Akufen, Anticon und wie sonst so Samplevirtousen heißen. Wurde zum Teil und nicht ganz zu unrecht mit dem Attribut „intelligent“ belegt, sagen wir aber lieber gleich: brillant. War dann auch einige Zeit fast schon ein Nonplusultra: wenn es groovet, dann bitte in der Weise und nicht – naja – einfach so. Das hat sich wieder gelegt, nicht nur für mich – trotzdem stellt „Rounds“ als eine der ersten Du-&-Dein-Kopfhörer-im-Mindfuck-Alben einen Höhepunkt dessen dar, was man überhaupt in der Art so reißen / rausholen kann.
4. Lawrence – The Absence Of Blight [Dial] (VÖ: 24.11.2003)
Es ist eine der bemühtesten Metaphern fürs Plattenhören, aber: Reise. Durch Sounds, die damals, als mir noch die Genrebezeichnung „Electronica“ genügte, unverhofft neu und interessant klangen, mit Technoidem hatte ich es bis dahin eher nicht so. Vom selben Peter Kersten, diesmal als Sten, erschien ein Jahr später das etwas four-to-the-floor-haftere „Leaving the Frantic“, weshalb beide Alben auch so eine Art Doppelalbum bilden. Aus heutiger Sicht vor allem maßgeblich, wie das auf Basis von Reduktion Tiefe / Raum gewinnt. Minimal, aber eben kein furztrockenes Spitzengeklöppel, was dann ja später draus wurde.
5. The Notwist – Neon Golden [City Slang] (VÖ: 14.01.2002)
Wahrscheinlich die einzige Platte, die sich in allen drei Machtdosler Top-Tens finden wird. Notwist ist eben eine unserer Lebensbegleitbands und „Neon Golden“ wird als ihr Sgt. Pepper gehandelt, inklusive Produktionsentstehungsmythen. Die Platte ist gar nicht so überambitioniert wie ich sie in Erinnerung hatte, eher entspannter Pop. Gelassenheit ist eh eine der herausragendsten Eigenschaften der Band.
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