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Gregor und Roland

Die besten Alben 2020 – Plätze 2 und 1 und die besten Tracks 2020

Gregors No. 2:
Mildlife – Automatic
([PIAS] / Heavenly Recordings)

Die fünf Pollpausenjahre setzen mir mächtig zu, muss ich zugestehen. Seit Tagen betrauere ich, dass der Musik mittlerweile die Einordnung in den politischen, biografischen, historischen oder soziokulturellen Kontext völlig abhanden gekommen ist. Mit dem Niedergang der Spex (2020 auch als Online-Magazin) ist zudem die Quelle, aus der ich über Jahrzehnte meine Haltung zu Musik definiert habe, endgültig abhandengekommen. Getrauert hat diesmal kaum jemand. Nun bin ich länger schon ByteFM-Leser, die neben ihrem Online-Radio einen schönen Blog betreiben, der mich regelmäßig auf neue Releases aufmerksam macht und außerdem musikjournalistisches Drumherum bietet. Hier bin ich auch auf „Automatic“ aufmerksam geworden. Mildlife verkörpern genau das, was sich in meiner Musik-Sammlung seit Jahren unter immer neuen Bandnamen wiederfindet: Musik irgendwo zwischen Pop und Psychedelic-Rock, die sich ihre Inspiration aus den 80er Jahren zieht – mit starker Fixierung auf die Melodieführung, analogen Flächen und repetitive, geradezu hypnotische Rhythmen. Nicht erst seit Phoenix, die wir nach Auswertung all unserer Bestenlisten zur Jahrhundertband erklären durften, feiert dieser Sound seine Renaissance. Es hat den Anschein, als wäre der Sound der 80er nie weggewesen. Nicht zuletzt deshalb ist die Zuschreibung eigentlich irreführend. Wir haben es hier nämlich mit etwas Epochalem zu tun.


Rolands No. 2:
Half Waif – The Caretaker
(Anti / Indigo)

Am häufigsten gehört. Weil die Platte früh da war und weil ich sie oft hören wollte. Vor allem ist das ein Album als Album, die Abfolge der Songs hat sich längst so eingebrannt, dass sie unhinterfragbar scheint und eigentlich darfst du das Ganze dann auch nur als Ganzes hören. (Ich habe z. B. erst vor kurzem bemerkt, dass ein reines Instrumentalstück sich drauf befindet, es ist eben perfekt eingepasst). Möglicherweise für viele eher konventionell-süßlicher Piano-mit-Gesang-Pop. Mir aber war es, anders kann ich das nicht sagen: ein Trost in diesem Jahr.


Gregors No. 1:
Caribou – Suddenly
(City Slang / Rough Trade)

Dass Audio-Streaming-Dienste das Hören der Zukunft maßgeblich beeinflussen werden, habe ich zwar schon 2012 in einem Artikel auf Machtdose geäußert, ich selbst nutze aber erst seit drei Monaten (sic!) einen dieser Dienste systematisch. Mal abgesehen davon, dass die Programmierung keine Sammlungsverwaltung berücksichtigt und ihre algorithmischen Zufälligkeiten nie und nimmer zu einer echten Erzählung führen werden, ist es vor allem die Individualisierung eines Lebensgefühls namens Popkultur, der ich misstrauisch gegenüberstehe. Die eigene Befindlichkeit als Maßstab für die Gesellschaft ist nicht nur der Megatrend der Stunde, m.E. bildet sich dieser auch in der Diversifikation der Musiklandschaft ab. Das heißt jetzt nicht, dass wir alle zusammen Händchen halten und Caribou hören sollten, es fällt aber auf, dass sich deutlich weniger Gemeinsamkeiten in den Jahresbestenlisten finden lassen. Es wird halt auch unglaublich viel interessante Musik veröffentlicht und vieles davon findet nur noch nebenher statt; der routinierte Griff zu Altbekanntem ist auch ein Stück weit dem starken Abrieb der Jugendjahre geschuldet. Caribou mochte ich schon zu Manitoba-Zeiten. „Suddenly“ ist nicht nur mein meistgehörtes Lieblingsalbum des Jahres, sondern auch Dan Snaith’s Meisterstück.


Rolands No. 1:
Laura Marling – Songs For Our Daughter
(Chrysalis / Partisan)

Bis jetzt hat es praktisch jedes ihrer Alben in meine Jahres-Top10 geschafft und diesmal auch an die Spitze, weil : sie wird auch immer besser. So zeitlos: hätte genau so 1983, 2004 oder 1972 erscheinen können und wäre in gleicher Weise in die Allzeit-Bestenbibliothek unumstößlicher Klassiker eingegangen. Eine Nummer eins für jetzt und immerdar – unpathetischer mag ich das gar nicht ausdrücken.


Zum Abschluss geben wir Euch noch unsere Lieblings-Einzelstücke aus diesem Jahr, nicht in Form eines Rankings, sondern jeweils die persönlichen Lieblinge als aufeinander abgestimmte Mixreihenfolge. Findet Ihr unten sowohl als Youtube- als auch als Spotify-Playlist eingebunden. Viel Spaß damit!

Gregors Beste Tracks 2020:


Rolands beste Tracks 2020:

Die besten Alben 2020 – Plätze 4 und 3

Gregors No. 4:
Fleet Foxes – Shore
(Anti / Indigo)

Ich war eigentlich fein mit dem einen, herausragenden Album der Fleet Foxes (auch schon wieder zwölf Jahre her) und bin in „Shore“ eher reingestolpert. Zum Glück. Mit den Fleet Foxes verhält es sich wie mit einem guten alten Freund, den man länger nicht gesehen hat. Sofort vertraut, wahre Freundschaft eben, die den ständigen Wechsel der Jahreszeiten und den Kreislauf allen Lebens von Jahr zu Jahr spürbarer werden lässt. Die Fleet Foxes bleiben auch auf ihrem vierten Album dicht und ergreifend, die Stimme von Robin Pecknold das Maß aller Dinge, Himmelsmelodien, die weit über der Landschaft schweben. Mit dem Eröffnungsstück „Wading in waist-high water“ ist der Pegelstand bereits so hoch, dass sofort Wasser über die Ufer tritt, danach fließt das Licht von allen Seiten hinein. Und fließt. Und fließt. Und fließt.


Rolands No. 4:
Sophie Hunger – Halluzinationen
(Caroline / Universal)

Lange etablierter Name, nie wirklich mit beschäftigt, bis zu diesem Album. Das schlug aber unmittelbar ein, schon beim ersten Hören. Das Dings wurde als Ganzes live in einem Take eingespielt (es brauchte aber wohl sechs Durchläufe, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht war). Ob das jetzt für den wahrscheinlich beabsichtigten organischen Gesamtsound sorgte, sei mal dahingestellt, jedenfalls ist ein rhythmisch interessantes wie verspultes Album mit ebensolchen Texten herausgekommen (mehrsprachig, was vielleicht bei einer Schweizer Globetrotterin auch zu erwarten ist). In Zukunft jedenfalls bin bei Sophie Hunger sofort mit dabei.


Gregors No. 3:
Bent – Up in the Air
(Godlike & Electric)

Bent aus Nottingham haben für das Gute-Laune-Gefühl ordentlich Vitamin D in
ihre Musik gepumpt – beigemischt mit Exotica, Easy Listening und vielen anderen Downtempo-Sounds. Das Supervitamin, das ihnen einen Platz im Apothekerschränkchen sichert, scheint aber trotzdem bis heute zu fehlen. Bent kennt: NIEMAND. Zumindest kommt mir das so vor. Zwischen „Up in the Air“ und ihren Vorgängeralben lag eine ziemlich lange Pause, Google war noch ein Geheimtipp und StudiVZ das Netzwerk der Stunde. Es finden sich zwar hier und da digitale Urzeit-Spuren, Ende der 1990er Jahre gab es in England sogar mal einen regelrechten Hype um die zwei Electronica-Produzenten. Ihr aktueller Release wurde aber zumindest in Deutschland weitestgehend ignoriert. Warum nur? Beim Aneignen von Basiswissen gefiel mir die Anekdote besonders gut, der zufolge die Musik von Nana Mouskouri eine ihrer favorisierten Sample-Quellen war. Aber auch das scheint lange her.

[Kein Video von Bent auffindbar.]


Rolands No. 3:
Jessie Ware – What’s Your Pleasure
(Virgin / Universal)

Als ca. 15jähriger, auf einer der Geburtstagsparties im Gemeindezentrum. Jemand kommt plötzlich auf die Idee, aus Spaß die letzte Madonnaplatte aufzulegen. Wir Indienasen beginnen, ironisch dazuzuhopsen. Langsam ändert sich die Energie im Raum, bis schließlich erstmals am Abend überhaupt die Menge zu einer einzigen Tanzmeute verschmolz und, wie man so sagte, die Hütte brannte. Wir haben dann einfach das ganze Album laufen lassen. Das ist so ungefähr mein Initiationserlebnis in Sachen populärer Tanzmusik. Und Jessie Ware gibt einiges davon zurück, eine Retroplatte, mit einem Danceburner nach dem anderen und Anleihen an alle möglichen 1980er-Größen, ohne im reinen Rückwärts, sondern auch ausreichend jetzig zu bleiben. In diesen isolierten Zeiten hat das zumindest meinen – bisher eher theoretischen – Wunsch befeuert, mal wieder auf Tanzflächen hopsen zu gehen und ließ mich zuhause meine eigene Tanzmeute sein.

Die besten Alben 2020 – Plätze 7 bis 5

Gregors No. 7:
Destroyer – Have We Met
(Dead Oceans / Cargo)

Mir dämmert langsam, dass ich mit jedem neuen Song und jedem neuen Album der Referenzhölle ein Stück näher komme. Alles hängt mit allem zusammen, jeden Tag ein bisschen mehr. An manchen Tage fühle ich mich wie ein Algorithmus von Spotify (ich lass das jetzt trotzdem mal alles bei mir). Also, Dinge einfach halten: Destroyer, Songschreiber aus Vancouver, bürgerlicher Name Daniel Bejar, bringt seit 1995 fast jährlich ein Album raus, bis heute 13 an der Zahl. Und seit dieser Zeit denkt Bejar über unsere (kaputte) Welt auf seine ganz eigene Weise nach: „Sing the least poetic thing you can think of and try to make it sound beautiful“, sagte er mal in einem Interview und gab damit zu erkennen, wie er Songwriting versteht. Bejar hat in den letzten Jahren eine beachtliche Fangemeinde hinter sich versammelt, die ihn bei all seinen musikalischen Wandlungen gewissenhaft begleitet. Angeblich haben sie ihm zu Ehren sogar ein Trinkspiel erfunden: „Drink if there’s a reference to fire or other disaster; drink twice for mention of an apocalypse“. Also, Schnapsflasche auf den Tisch und gut zuhören.


Rolands No. 7:
Kelly Lee Owens – Inner Song
(Smalltown Supersound / Cargo)

Gestalterisch das Cover des Jahres. Mir fällt auf die Schnelle und auch bei längerem Überlegen niemand ein, der/die Techno und Pop je so gut zusammengebracht hätte, ohne dass dabei das eine ins andere über- und unterginge, sondern beides tatsächlich stets eigenständig und gleichzeitig da ist. Tanzbar einerseits, Melancholieinseln andererseits.


Gregors No. 6:
Fontaines D.C. – A Hero’s Death
([PIAS] / Partisan)

Das dritte Album sei das schwierigste, heißt es oft. Dabei wird häufig übersehen, dass mit einem guten zweiten Album erstmal die Voraussetzungen geschaffen werden müssen für die Möglichkeit eines historischen Tiefschlags. Den Fontaines D. C. ist das gerade gelungen. Die fünfköpfige Band, die aus Dublins Arbeiterviertel The Liberties stammt, hat sich 2019 mit einem platzierten Schuss in den Winkel urplötzlich auf Augenhöhe mit Bands wie den Arctic Monkeys, Maximo Park und Art Brut gesehen. „Dogrel“ war nichts Geringeres als die Wiedergeburt dessen, was in Großbritannien alle paar Jahre geschieht: Eine neue Welle, die sich über die Insel ergießt und dann zu uns ans Festland schwappt. Mit „A Hero’s Death“ haben die Fontaines D. C. dieses Jahr nachgelegt und sind gleich beim Alterswerk gelandet. „Happiness really ain’t all about luck“ heißt es im titelgebenden Song. Es braucht eigentlich ein paar Alben (und Lebensjahre), um solchen Zeilen zu schreiben.


Rolands No. 6:
Sevdaliza – Shabrang
(Butler / H’Art)

Wisst Ihr noch? Triphop? Irgendwann von der eigenen Erdenschwere erschlagen. Sevdaliza gelingt die Revitalisierung: mit vermutlich sehr bewusstem Rückgriff auf familiäre Musiktraditionen (als Kind aus dem Iran geflohen in die Niederlande). Gerade beim Gesang höre ich jedenfalls deutlich Klangfarbe und Melodieführung „nahöstlicher“ Musik heraus (vielleicht aber auch mein banausisch exotisierendes Hören?). Wenn das mit sporadischem Autotune und allerlei Knisterknaster-Effekten zusammengeht, ist das Ergebnis stellenweise spektakulär und zeigt, was dem untergegangenen Schleppbeatgenre vielleicht vor allem fehlte: Eleganz.


Gregors No. 5:
Golden Diskó Ship – Araceae
(Karaoke Kalk / Indigo)

Von Noiserock über Post-Punk zu Süßpop ist es manchmal nur ein Halbton, wenngleich in der Musik von Golden Diskó Ship sehr viel mehr zu finden ist als ein bunter Strauß schöner Melodien. Obwohl die sechs Songs von „Araceae“ extrem weit auseinander liegen und außergewöhnlich viele Schattierungen, Farbtöne und Texturen vereinen, ist die Gemeinsamkeit eben jener unüberhörbar. Ich könnte jetzt auch Süßpop durch Kammerpop ersetzen und es fiele niemandem auf. Oder Dreampop. Das Album als organisiertes Schallereignis ist bei der Berliner Multiinstrumentalistin Theresa Stroetges auf jeden Fall in guten Händen. Wer genau hinhört, entdeckt unzählige Details und wird hineingezogen in aufregende Klanglandschaften, ohne dabei den Zusammenhang zu verlieren.

Rolands No. 5:
Phoebe Bridgers – Punisher
(Dead Oceans / Cargo)

Das erste, was mir bei Phoebe Bridgers einfällt, ist: „Haunting Music“. Schon beim ersten Album etwa huldigte sie im Video zum damaligen Hit „Smoke Signals“ dem Die-Toten-sind-unter-uns-Klassiker Carnival of Souls und tatsächlich: lässt ihr außergewöhnlich klarer Gesang die Lyrics so deutlich aufscheinen, dass ich ganz genau zuhören will – oder muss, und sie einen beschäftigen und verfolgen. Beim Zweitling wird der Zwischenweltaspekt nochmal besonders ausgespielt: fragmentiert bleibende Songs mit dezenten Hall-, Flüster- und Windeffekten, einer heißt natürlich „Halloween“. Dazu der leicht zu groß geratene Skelett-Pyjama als Tourkleidung, wie ein ironisches Zeichen auf jene rächende Comicfigur, auf die der Albumtitel referenzieren mag. Oder dieses letzte lange, albern wie schaurige Aushauchen am Ende von I know the end, dem Schlussong des Albums, der im übrigen so beginnt: Somewhere in Germany, but I can’t place it / Man, I hate this part of Texas – Denn, was sind Gespenster anderes als: fehlplatzierte Wesen? Was dem/der einen ein Grusel ist, ist dem/der anderen das Gefühl der eigenen Awkwardness. Die Doppelbelichtung ist eines von Bridger’s dauernden Themen, meine ich.

Die besten Alben 2020 – Plätze 10 bis 8

Unglaublich, aber wahr: wir haben seit 5 Jahren keinen Jahresrückblick mehr gemacht.

Und ist ja auch irgendwie aus der Zeit gefallen. Aber sind wir nicht alle gerade aus der Zeit gefallen, und hilft da nicht insbesondere Musik? – Also, machen wir es wieder, here it goes again:

Gregors No. 10:
Die Sterne – Die Sterne
([PIAS])

Wenn es dieses furchtbare Video zu „Der Palast ist leer“ nicht geben würde – wer weiß, wie mein Zugang zu dem neuen Album der Sterne ausgefallen wäre. Hab aber zum Glück dann doch noch rein gefunden. Die Sterne selbst sind für mich eher wachsame Zeitchronisten, fahrendes Volk, das von Ort zu Ort zieht, um seine Melodien weiterzugeben. Nichts für zuhause also, waren sie nie für mich. Bis heute. Mag daran liegen, dass ich nicht vor der Tür war oder zumindest anders als sonst. Auf ihrem gleichnamigen Album macht Sänger Frank Spilker mal wieder das, was er am besten kann: unwiderstehliche Melodien produzieren, die auf der zweiten Hälfte des Albums zwar ein wenig abflachen. Ihr Best-Of-Repertoire wurde aber mindestens um drei neue Stücke erweitert, die ich mir dann demnächst wieder pflichtbewusst beim örtlichen Veranstalter anhöre. Alles andere ist keine Option!


Rolands No. 10:
Gia Margaret – Mia Gargaret
(Orindal)

Gia Margaret verlor ihre Stimme, buchstäblich. Auf der Tour zu ihrem ersten Album schon erste Gesangsprobleme, Anfang 2019 dann endgültig zu Schweigen und Nichtsingen verdammt, schwerwiegende Kehlkopfentzündung. Sie tat, was notwendig war, alle möglichen Gerätschaften zusammensuchen, schrauben, basteln, samplen. Zuvor so ein Folkding, jetzt Plickerdiplocker-Elektronica, bestens geeignet zum Wegdösen, Einmummeln, Weltfliehen.


Gregors No. 9:
Friends Of Gas – Kein Wetter
(Staatsakt / Bertus)

Die Friends Of Gas. Ich vermute jetzt einfach mal, dass die Band aus Essen kommt und ihren Proberaum im Keller hat. Bunkerbeton, Eierkarton, Perserteppich. Dekontextualisiertes Hören, wie ich unlängst erfahren habe. Man weiß eben kaum noch etwas über die Musik und ihre Urheberschaft. Scheinbar ist das wohl auch egal. Egal. FOG ist unfassbar dicht an der Lösung, lange nichts Gitarriges gehört, das in solcher Perfektion und mit so viel Hingabe gespielt wurde. Und der Gesang! Ich sach’s jetzt einfach mal: Kim Gordon, oh ja, Kim Gordon herself würde es auch nicht besser machen. FOG hört man nicht mal ebenso in der Bahn, im Sommerblau und oft schon gar nicht. Zu laut, zu lästig. Eine Umschreibung, die es vielleicht auf den Punkt bringt: „Die Friends Of Gas sind der Sound des Nicht-Einverstanden-Seins“. Ich wollt‘s dann doch wissen.


Rolands No. 9:
This is The Kit – Off Off On
(Rough Trade/ Beggars Group / Indigo)

Relativ frisch durch den Spotify-Algorithmus angespült und war mir zuvor gänzlich unbekannt, aber bereits das fünfte Album von Kate Stables alias This is the Kit. Milde verschachtelt, unaufdringliche Bläserarrangements, angenehm unspektakulär. Brennt nicht, sondern glimmt und könnte deshalb auch länger vorhalten.


Gregors No. 8:
Working Men’s Club – Working Men’s Club
(Heavenly Recordings)

Beim Namen fiel der Band aus Yorkshire wohl nichts besseres ein. Sei’s drum. Die Band kickt Arsch. Wir kennen das von den DFA Records Artists, die uns Anfang des Jahrtausends mit ihren Produktionen die Füße unter dem Boden weggezogen haben. Ein bisschen The Juan MacLean, ein bisschen James Murphy. In Wirklichkeit aber ist der Working Men’s Club von klassischer 80er-Elektronika, von Post-Punk, Cabaret Voltaire und New Order’s „Technique“ durchdrungen. Dass „Working Men’s Club“ dennoch frisch, contemporary und prickelnd klingt, hängt nicht zuletzt an Sänger Syd Minsky-Sergeant, der mit todsicherem Gespür ein extrem stimmungsvolles Debüt hingelegt hat. Mit dem ein oder anderen Song würde ich gerne mal wieder spät nachts auf der Bar der Morgenröte entgegenhopsen. „Der Puls ist das Jetzt in seiner Totale“ hat mal jemand gesagt. Hier pumpt das Herz zum Beat.


Rolands No. 8:
Adrianne Lenker – songs
(4AD /Beggars Group / Indigo)

Die Band Big Thief: hoher Output, viel gefeiert, aber ich konnte nix mit anfangen. Jetzt hat Bandmitglied Lenker eine Rückzugsplatte herausgebracht (gibt noch eine gleichzeitig mit Instrumentals), mit der einfachen Formel: Rekorder raus, Mikro an, Gitarre und Gesang. Aufnahmerauschen und Sprechmuschelsound inklusive. So unbehauen funktioniert das dann auch bei mir.

Die besten Alben 2015 – Plätze 1 und Tracks des Jahres


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Rolands No. 1:

Holly Herndon – Platform
(4AD / Beggars Group / Indigo)

Es war wirklich ein sehr tolles Jahr, was Musik betrifft. Schon allein, weil jede und jeder gefühlt ein Album herausbrachte, der / die einem grad einfallen mochte. Und viele, viele davon waren mindestens gut. Trotzdem: wirklich aufgeregt im Sinne von: was war das denn, gleich nochmal und nochmal, die gab es dann wieder wenig. Aber hier!

In der elektronischen Musik gibt es ja gerade die Tendenz zum Auseinandernehmen, eher analytische Platten, die so Einzelteile aneinanderreihen, Genres ironisieren, Hässlichkeiten bewusst herauskehren usw. Eher nicht mein Ding. Holly Herndon gehört da vielleicht oberflächlich auch rein, bei allem Hickhack / Schnickschnack schert sie sich aber eben doch sehr um Schönheit und das Zusammenfügen mag für einige dann pathetischer Oberstimmenquatsch sein, für mich hauts rein wie nix.


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Gregors No. 1:

Coma – This Side Of Paradise
(Kompakt)

*krcks* *sprcks* Hallo? Hallo… Roland is speaking… – Da Gregor leider noch nicht die Zeit fand, etwas zu seiner Nummer 1 zu schreiben, ich aber nun nicht den Neujahrstag vergehen lassen wollte, ohne unsere Kürung auch abzuschließen – it’s 2016, Baby! – folgt jetzt etwas Ungeheures und absolut nicht Abgesprochenes (hoffentlich hat das nicht das Ende des harmonischen Machtdose-Daseins zur Folge), ich schreibe jetzt einfach was dazu. Ich weiß ja von seiner Nominierung seit ein paar Wochen und hatte also auch Gelegenheit, es vorher zu hören.

Das ist ja nicht zuletzt der Spaß für uns selbst: neue Anregungen zu bekommen. Und – absolut tolles Album. Für mich tatsächlich der Einschläger der diesjährigen Charts, hätte ich es vorher gekannt, wäre es ebenfalls in meiner Bestenliste gewesen. Als erstes fiele mir dazu ein: mühelos. Ich muss lange zurückdenken, dass mir ein so selbstverständliches Album einfiele, dass scheinbar leicht gebaute Songs bietet, die immer auch lockerflockige Mitschwupptracks sind. Hätte ich ein Café, würde das bei mir zur Gästebeschallung hoch und runter laufen, und ich glaube, es würde die Gäste auch nach Wochen null nerven.

[Okay, nun aber! Am Jahresende stapelt sich die Arbeit immer ein wenig, weshalb ich die 1 mit in den Urlaub genommen habe, here we go:] Diesseits vom Paradies ist jenseits der schlechten Laune. Beides verbindet: die Brücke des Regenbogens. Eine Reise mit Schönwetter-Garantie. Und siehe da, schöngeschrieben im Winterexil. Coma = 1. Mal wieder Kompakt. Köln. Es ist ein langer Weg von Ehrenfeld in die Bucht von Thong Nai Pan. Dort das graugrau der deutschen Industriegebietödnis. Studio. Synthies. Auch mal ein Mikrofon für das bisschen Gesang.

An anderer Stelle die Farbexplosion der Marktstände. Bananen, Mangos, Papaya. Straßenküchen. Frohsinn für den Wahrnehmungsfanatiker. Akustische Impulspakete, die da meine Ohren füllen, ohne erkennbaren Tempo- und Lautstärkewechsel. Die Oberflächenstruktur: Das leise Geräusch der ausrollenden Wellen, die Fächer der Palmen, ihr leichtes Rascheln im Wind. Der ideale Ort für »This Side Of Paradise«. Marius Bubat und Georg Conrad können sich für ihr Album kaum eine geeignetere Umgebung erdacht haben und mir gefällt der Gedanke, Coma diesem Rascheln beizumischen.


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Sebastians No. 1:

Sufjan Stevens – Carrie & Lowell
(Asthmatic Kitty / Cargo)

Um es vorwegzunehmen: Dies könnte die Lieblingsplatte meines Lebens sein! Keine andere spricht mich von vorne bis hinten mehr an, kein Lied samt seltsamen Text gefällt mir besser als „Fourth of july“! Schöner ist nicht möglich! Jahre habe ich Sufjan Stevens nicht weiter beachtet, u.a. weil ich vor Rolands Album des Jahrzehnts („Illinois“) und Stevens Größenwahn Angst hatte oder mir „The age of adz“ zu sperrig erschien. Aufgrund des übersichtlichen Formats und des „Fourth-of-July“-Vorabhörens habe ich mich aber gleich nach der Veröffentlichung „Carrie & Lowell“ angenommen. Fazit: Klarer Start-Ziel-Sieger und die Gewissheit, dass wohl noch eine ganze Menge im Sufjan-Stevens-Kosmos zu entdecken ist.

Es folgen noch unsere Lieblingstracks, soweit bei Spotify zu finden, in eine entsprechende Playlist gebracht

ROLANDS TRACKS 2015

  1. Holly Herndon – Interference
  2. Sufjan Stevens – Blue Bucket of Gold (Live Version)
  3. Kamasi Washington – Re Run Home
  4. Hunee – Rare Happiness
  5. Ana treacle – Missy Mtn.
  6. Nice Legs – One
  7. Throwing Snow – Xema
  8. Miracles of Modern Science – Never Knew Normal
  9. Jamie xx – Gosh
  10. Chemical Brothers – Go

GREGORS TRACKS 2015

  • Panda Bear – MR Noa
  • LeRoy – Niemals Erwachsen Werden
  • Grossstadtgeflüster – Fickt-Euch-Allee
  • Thee Oh Sees – Withered Hand
  • Grimes – Flesh Without Blood
  • Empress Of – Everything Is You
  • Rolande Garros – Wimbledon
  • Tocotronic – Die Erwachsenen
  • Courtney Barnett – Pedestrian At Best
  • Django Django – Shake & Tremble
  • Pollyester – Change Hands

SEBASTIANS TRACKS 2015

  1. Sufjan Stevens – Forth of July
  2. And the golden choir – New daily dose
  3. Lea Porcelain – Similar Familiar
  4. Sizzar – Baggage man
  5. Deerhunter – Take care
  6. Beach house – Wildflower
  7. Tame Impala – The moment
  8. Jamie Woon – Celebration
  9. Robert Foster – A poet walks
  10. Jamie XX – Gosh

Die besten Alben 2015 – Plätze 2


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Rolands No. 2:

Sufjan Stevens – Carrie & Lowell
(Asthmatic Kitty / Cargo Records)

Sufjan kehrt zurück. Erinnerungspolaroids aus den wenigen Kindheitssommern, in denen er seine Mutter besuchen durfte, die er kaum kannte. Musikalisch zu den frühen Alben: spartanische Instrumentierung, einfache Melodien. Simple Ausführung, wie’s scheint, aber so erst recht mit Wirkung. Wehmut und Trauer in aller Pein(lichkeit). Wie uncool. Wie wundervoll.

(Kein wirklich soundmäßig störungsfreies Video gefunden zum Album. Dann wenigstens ein Ausschnitt vom schönen Konzert, auf dem ich war:)


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Gregors No. 2:

Grandbrothers – Dilation
(Film Recordings)

Das präparierte Klavier, fast so alt wie das Klavierspiel selbst, bekommt mit den Grandbrothers die Gnade der späten Präparation. Dieses Geflecht aus altbekannten Klavierbearbeitern beginnt mit seinen Verästelungen weit vor John Cage, also in der Gegenwart: Hauschka und Niels Frahm sprießen aus dem gleichen Trieb. Brandt Brauer Frick mit ihrer Opulenz hängen ein Ast weiter. Und alle wachsen aus dem gleichen Stamm.

Im Zentrum der Grandbrothers steht das Piano, gespielt von Erol Sarp. Lukas Vogel steuert per Laptop eine komplexe Apparatur aus elektromagnetischen Hämmerchen, die mit dem Flügel verkabelt sind. Zum Beispiel mit der Pedalstange oder dem Steg, aber auch mit den Saiten und dem Resonanzboden. Im Ergebnis treffen da wunderbare Melodien (Klavier) auf hypnotische Loops und sphärische Soundschleifen (Elektronik). Und man muss Vogel zugute halten: Er lässt dem Grand Piano großen Raum. Wenn es so etwas wie Kaffeehausmusik gibt, dann ist »Dilation« der Kaffeesatz dazu. Bester Dünger. Jetzt hören und morgen wieder!


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Sebastians No. 2:

Low – One and Sixes
(Sub Pop / Cargo)

Unglaublich, aber wahr: „Low“, die schon seit Ewigkeiten existieren, waren mir bis vor kurzem nur vom Namen her bekannt! Und dann dieses Album, in das ich vornehmlich wegen des schicken Covers hineinhörte! Fernab von musikalischen Moden wird hier Song für Song das Beste aus Indie, Singer-Songwriter und Slowcore (blöde Auflistung, aber genau das fällt mir ein, wenn ich den Stil beschreiben soll) destilliert und zelebriert, was ich mir vorstellen kann. Zwölf durchweg emotional-ansprechende Songs, die textlich Wesentlichstes, was es zum Miteinanderleben zu sagen gibt, ausloten. Bitte unbedingt anhören!

Die besten Alben 2015 – Plätze 3


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Rolands No. 3:

Kamasi Washington – The Epic
(Brainfeeder / Rough Trade)

Fragte man mich, welche Musik wohl übrig bliebe, bzw. fantasiere ich, was ich höre, wenn ich mal aus dem Alter raus bin, mich für neue Musik noch zu interessieren, würde es wahrscheinlich doch auf Jazz hinauslaufen. Ich bin gar nicht bewandert, mein Interesse ist wenig ausgereift und eng gefasst, geht vielleicht von Hard Bop bis etwa zur Mitte der 1960er Jahre. Tatsache aber ist, dass diese Jazzplatten sich so gar nicht abnutzen. Wenn gar nix mehr geht, die gehen immer.

Umso schöner natürlich, wenn da ein Dreistundenalbum rauskommt von Leuten, die ganz genau diesen Jazz machen, einfach, weil sie es können. Dass das Album seine Aufmerksamkeit bekam, liegt daran, dass die meisten Musiker rund um den bestimmenden Saxophonisten Kamasi Washington längst im Business als Studiomusiker oder Produzenten tätig sind, sonst aber eben HipHop usw. machen. Vielleicht gibts auch jedes Jahr einige vergleichbare neue Platten im Jazzregal, mag ja sein, das hier habe ich jedenfalls sehr genossen und wird wahrscheinlich ähnlich langzeitwirkend sein wie die anderen Klassiker aus beschriebener Kategorie.


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Gregors No. 3:

Jamie xx – In Colour
(Young Turks)

»In Colour« war das ganz große Ding. Eins für die Mainstream-Minderheit. Headliner-Tour am Rand der Gesellschaft. Sind wir sofort dabei. Deshalb die Drei für Jamie xx, dem Mann hinter The xx. Die Drei steht aber auch für dreimal so oft gehört wie andere Alben. Eine echte Wellness-Platte für diese kleinen Feelgood-Augenblicke im Leben und ähnlich schön ausproduziert wie »Elaenia« von Floating Points (nur nicht ganz so raffiniert, dafür mit Steeldrums). »In Colour« ist Farbe pur. Eine Tautologie, wohl war.

Trotzdem! So breit wie die Farbtabelle von RAL. Wer drauf achtet, hört, wie sich »In Colour« vom Gelben ins Gelbgrüne, Violette hin zu einem tiefen Stahlblau färbt. Dieses Farbenempfinden mit seinem warmen, rhythmischen, einwiegenden Gefühl der Behaglichkeit: Genau um dieses Empfinden geht es. Um sonst nichts.


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Sebastians No. 3:

Beach House – Depression Cherry
(Bella Union / Pias Coop / Rough Trade)

Von meiner berufsbedingten Möglichkeit, Musik bis zum Abwinken konsumieren zu können, profitierte dieses Jahr insbesondere die Band, die bei einem Machtdose-die- letzten-5-Jahre-Poll-Bandranking klar auf Platz 1 stünde.

Denn mit dem Wissen, dass mir Beachhouse-Songs bei den ersten Durchgängen zumeist banal erscheinen, dass es dann aber irgendwann den Augenblick gibt, wo mir genau diese Banalität kunstvoll erscheint bzw. sie mich mitreißt, konnte ich mir (un)getrost nach fünf Durchgängen im Urlaub („100 Euro wette ich darauf, dass mich diese Platte nicht mehr anmachen wird und Beach house damit für mich vorerst gestorben ist.“), noch fünf Durchgänge am heimischen Computer leisten, um beim elften Mal von dem vom medizinischen Institut der University of Baltimore derzeit erforschten Beachouse-Blues derartig gepackt zu werden, dass mich dieses Album bis in die Träume verfolgt.