Die besten Alben 2015 – Plätze 6 bis 4
Beach House. Jaha, schooon wieder. Fast ist es mir selbst langweilig. Aber was willste machen. (Und dieses Jahr haben sie auch noch zwei Alben rausgebracht, be warned!)
Depression Cherry reduziert und konzentriert nochmal den sowieso stark reglementierten Beach-House-Sound, the Haiku of the Haiku – Traumwandeln ist auf der Stelle treten. Dieser Suppenwürfel gefiel dann auch den meisten wohl weniger, der wenigwöchige Nachfolger wurde meiner Wahrnehmung nach schon wieder mehr gefeiert. Ich aber mag es offenbar noch elegischer, die Synth- und Drummachine-Sounds noch billiger und alles so eingedampft, bis du die Knochen siehst / schmeckst. Könnte auf Dauer meine Lieblings-Beach House werden.
Das Wesen unserer Zeit: die Nervosität. Bei Flanger alias Atom™ & Burnt Friedman in eine Schleife gegossen. Zehn Jahre sind seit »Spirituals« vergangen und noch viel mehr seit ihrer Gründung 1997. Und nun »Lollopy Dripper«. Es verhält sich wie mit dem Igel. Nicht jeder, der kein Lebenszeichen von sich gibt, ist wirklich tot. Im Gegenteil. ADHS steht im Raum. Und Zuckungen am Auge und im Bein. Clicks und Cuts in Jazz-Texturen. Körperspannungen. Das komplette Zappelprogramm. Der akustische Kontrast dazu: Dub und Space und noch mehr Jazz. All das kulminiert zu einem Raum von wohlklingender Erhabenheit. Und es zeigt einmal mehr: Ein Leben ohne Musik ist möglich, aber nicht sinnvoll.
Zugegeben: Tobias Siebert ist ein Womanizer und seine Texte erweisen sich – so weit ich sie verstehe – als nicht sonderlich hintersinnig. So konnte ich das Album auch getrost meinem vierzehnjährigen weiblichen Patenkind zum Geburtstag schenken (, was nicht heißt, dass sie nicht sehr schlau ist)! Aber abgesehen davon: In dieser Armut, welche melodramatische, süßschmerzliche Fülle!
Folkloristisch anmutende Instrumentenvielfalt (übrigens: alles selbst eingespielt) beschwören Bilder von archaischen Feuern herauf. Die Liedkompositionen sind ausgefeilt, teils erhaben und teils so eingänglich (z.B. „New Daily Dose“), dass ich mich frage, warum das keine Radiohits wurden. Das alles brachte einen Suchtfaktor mit sich, der einen Lebensabschnitt so ganz mit diesen Klangfarben durchtränkte, nämlich GOLDEN.
Prinzip Überraschung, auch diesmal. Und klappt, auch diesmal. (Lustigerweise habe ich auch einige Amazonrezensionen gelesen, die sich über die plötzlichen Brüche und Nichterwartbarkeiten gerade mokieren, nunja) – Das Überreiche, das bei den vorigen Platten für mich leicht mal zuviel sein konnte, ist jetzt auch einer klareren Struktur gewichen und stellenweise so aufgeräumt, dass die vorherige eher beiläufige Peter-Gabriel-Assoziation deutlicher sich aufdrängt. Das „Rundere“ soll auch daher kommen, dass Son Lux sich vom Einmannprojekt zur Dreimannband hinentwickelt hat, kann ich aber nicht wirklich beurteilen.
Diese Belgier, zerrissene Nation, Brutstätte des Terrorismus. Hier die Flamen, dort die Wallonen. Vier Sprachgebiete. Der Kinderschänder Dutroux. Und der Rechtspopulismus! Wie überall in Europa auf dem Vormarsch. Die Kreativität stört das wenig, trotzdem man sich daran stört. Man denke nur an die großartigen belgischen Filme der jüngsten Vergangenheit. Die belgische Mode. An den belgischen Fußball (mit Kreativspielern Mitfavorit auf den EM-Titel). Oder an Balthazar! Drittes Album. Ein absoluter Mädchentraum (schön, wenn’s so wäre).
Lässigkeit und Eleganz. Das Indierock-Quintett aus Gent demonstriert 2015 ein gewachsenes Selbstbewusstsein. Vier Jahre nach ihrer Geheimhymne »Throwing a Ball«. Gerade wegen Europas europafeindlicher Stimmung nicht wegzudenken aus der europäischen Musiklandschaft. United by Music!
Keine andere Band stand bereits schon viermal in meinem seit 2006 hier veröffentlichten Jahrespoll und es ist derzeit nicht absehbar, dass es mal einen Grund geben wird, dass sie nicht auch die nächsten zehn Jahre alle zwei bis drei Jahre hier zu finden ist. Liest man über Tocotronic, wird ja häufig über deren Stilwechsel reflektiert (vorvorletzte Platte: eher rockig, letzte Platte: Low-Fi, diese poppig usw.) und das Text-Konzept, das häufig den Titeln der Alben entsprach, als hintersinnig gelobt.
Das mag sein, dennoch klingen die Melodien für mich immer ähnlich und die Texte belehren mich seit jeher, dass das Private mit dem Politischen zu identifizieren ist oder so ähnlich. Statt eine andere Laudatio als die letzten Male auszuformulieren, bleibt mir daher nichts anders übrig, als festzustellen, dass „Das rote Album“ laut Playlist-Statistik, die im Übrigen nur bisweilen mit meinen Pollrängen übereinstimmt, von mir am fünfthäufigsten Mal in diesem Jahr gehört wurde und ich die Hälfte der Texte mitsingen kann.
Ein bisschen hochstaple ich hier ja schon rum, denn eigentlich bin ich mit Musikhören für den Machtdose Podcast schon ziemlich ausgelastet, so dass ich eigentlich nur zum hipsteren Dabeisein auch nach „regulären“ Veröffentlichungen schaue / höre, die meisten nur anskippe und einige wenige bleiben eben übrig und geben mit Glück eine Top10 (dieses Jahr war aber auch hier übervoll).
Egal, jedenfalls: die shy kids aus Toronto kommen übers Podcastrecherchieren rein, ihr Album ist CC-lizeniert und bei Bandcamp als pay-as-you-want zu haben – und es ist ein rundherum großartiges Album, das ich ohne jede Abstriche allen sehr ans Herz lege, möge es noch so große Vorbehalte geben wegen „gibts ja umsonst“ und „ist ja nicht relevant“ (und die Ohren mögen Euch abfallen, wenn Ihr tatsächlich ausschließlich so Musik bewertet).
Intelligenter Pop, den ich jetzt leicht mit einigen Bands vergleichen könnte, die auch hier in den vorjährigen Jahresrückblicken standen, was ich mir aber spare, denn die shy kids brauchen das überhaupt nicht. Ich freue mich jedenfalls daran, dass die Musik im Podcast locker mit allem mithält, was da sonst rumfleucht und besprochen wird.
Was Daniel Snaith (Caribou) für die Mathematik und Kieran Hebden (Four Tet) für die Computerwissenschaft, ist Sam Shepherd für die Neurowissenschaft: Eine Ausnahmeerscheinung seines Fachs. Natürlich ein Zufall, aber trotzdem bemerkenswert: Alle drei arbeiten auf dem gleichen Niveau, dem gleichen, herausragenden Produktionslevel. Schon die ersten Singles und EPs aus den Jahren 2009 – 2014 deuten an: hier bricht sich einer der talentiertesten Produzenten der Welt Bahn.
Mit der Königskrönung im Jahr 2015: »Elaenia«. Das Debütalbum durchläuft einen fortlaufenden Veränderungsprozess im Wirkungsbereich von Techno, Deep House, New-Jazz und Experiment. Trotzdem homogen im Klang und frei von Grenzen und Barrieren. Dafür hat Shepherd Unterstützung von Jazz-Schlagzeuger Tom Skinner, Leo Taylor (Leihdrummer für u.a. Adele, Hot Chip, Zongamin), Susumu Mukai (alias Zongamin) und der Geigerin Quian Wu bekommen. Groß!
Zur Information: „Man without country“ sind ein walisisches Duo, das trotz zwei herrlicher Alben noch nicht auf dem Machtdose-Plattenteller zu finden war. Traurig, traurig! Nach dem wundersamen „Foe“, das mich insbesondere wegen seiner heimelig widescreen-wimpigen Gesamtstimmung überzeugte, wartet nun „Maximum Entropy“ zudem noch mit größeren Gefühlsnuancen und einer Detailverliebtheit auf, die zur Folge hat, dass einige Songs sogar M83-mäßig zum Mitschunkeln anregen. Für mich das Electro-Pop-Album des Jahres!