Nach dem grandiosen Vorgänger konnte ich mir kaum vorstellen, dass „Die Türen“ noch einmal etwas veröffentlichen, was mich eine dreiviertel Stunde dauerschmunzeln lässt! Aber weit gefehlt, mein Nerv wird erneut genau getroffen! Textlich scheint weiter alles auf der Höhe zu sein, was kombiniert mit der musikalischen Mischung aus Funk, Disco-Beats, Soul-Gitarren und 08/15-Melodien erneut sehr geistreich erscheint! „Kaffeekränzchen mit Drogen als ultimativer Soundtrack zum Ende der Schwarz/Gelb-Ära“ (oder so ähnlich) habe ich einmal in einer Rezension zu „Abc […]“ als Überschrift gelesen. Das erscheint mir zu treffend, um es hier nicht zu zitieren!
Natasha Khan macht ihr Bat for Lashes Ding und ich mache darauf meins: ihr Album in die Jahres-Top 10 wählen – so wie bei den beiden ersten, 2007 und 2009 (2009 hatten wir zwar keine offizielle Jahresbilanz, trotzdem). Das ist in meiner Geschmacksgeschichte schon eine außergewöhnliche Konstanz, tatsächlich fällt mir grad niemand ein, der diese Trefferquote erzielte. Fast wäre sie aber mit The Haunted Man nicht reingekommen. Denn beim ersten Hören dachte ich noch: naja, macht sie halt ihr Bat for Lashes Ding. Doch beim weiteren Hören schlichs sichs wieder ein. Verdammt, das Ding ist halt das Ding!
Manchmal muss man einfach nur zur richtigen Zeit aufs richtige Pedal treten. Goat aus Korpilombolo im tiefsten Nordosten Schwedens haben das gemacht, und schwupps: Wah-Wah is back, Schweineorgel, das ganze Rezept eben. Sie tragen Masken, treten vermummt auf und werden von einer mysteriösen Voodoo-Priesterin angeführt. Dass man damit immer noch oder gerade wieder lecker Kuchen backen kann, zeigt dieses phänomenale Debütalbum. Der Sirenengesang ist Magie: singkreischen, hier und da »na, na, naaa’s« und »oooooooohhhhs«, vom Turm herab brüllen – all das beherrscht sie aus dem Effeff. Erhabenheit steckt da drin und das Selbstbewusstsein eines ungelutschten Lollipops. Schmeißt mit Dreck, Leute, das hier ist die Geschichte der Stunde!
Wir erinnern uns: 2010 hat uns Beach House das Album beschert, was jedem, der seinen Pony lieber vor den Augen als abgeschnitten trägt, die Platte des Jahres bedeuten musste. Auffällig war dabei, dass kaum ein einzelner Track in der Polllandschaft auftauchte, was schlichtweg darauf zurückzuführen war, dass man sich aus zehn ähnlich grandiosen Songs für keinen einzelnen entscheiden konnte. Wofür also ein neues Album? Die Vorstellung, dass sich der Beach-house-Sound ändert, ist nämlich so absurd, wie wenn man dies von einer Reggae-Band fordern würde. Erstaunlicherweise wurde dann ein Album erstellt, das drei große Hits (Myth, Troublemaker, Wishes) aufweist, und zwar so große, dass ich mich am Jahresende kaum noch an die anderen Lieder erinnern kann. Soundmäßig erscheint wiederum das, was bei „Teen Dream“ noch lo-fiig klang, bisweilen etwas dick aufgetragen. Mich juckt´s aber nicht … Ach ja, was das Cover angeht, steht Bloom bei mir ganz vorne.
2001 kam Dntels „Life of Possibilites“ heraus – was auch schon wieder unglaubliche 11 Jahre her ist. Damals ein ziemlich unterschätztes Album, auch von mir selbst. Es dürfte jedenfalls seitdem – rein was die Häufigkeit des Anhörens betrifft – einen einstelligen Popularitätsplatz in meiner Hörhistorie einnehmen (nur nebenbei: hat eines der besten Alben-Opener, die ich überhaupt kenne – und eins der schönsten Plattencover). Jetzt also mit Jahrzehntlücke wieder ein Album, dass daran anzuschließen weiß. Beim Anhören von diesem stellt sich bei mir eine seltsame synästhetische Erfahrung ein, die für mich mittlerweile als Dntel-typisch gilt: die Musik kommt mir „flach“ vor, was natürlich nicht abwertend gemeint ist, sondern soz. als geometrische Anmutung: so wie z. B. Stimmschlaufen und Restmusik ineinanderpassen / sich verweben, da wandelt man wie auf einem Prachtteppich aus Traumresten.
Es gibt Bands, die Momente erschaffen, an die man Hängematten befestigen könnte – mit der Chemie der Euphorie. Arcade Fire können das, The Go! Team können das und Dan Deacon kann das. »America« ist das, was man gemeinhin als originell bezeichnen würde. Tausend Klangbausteine, die alles sein können: eine elektrische Fliegenklatsche, Rudertrommeln, eine Fahrradklingel, Sci-Fi Sounds aus dem 60ern usw. Mitunter mischt sich auch mal ein eigenartig geschlechtsloser Comic-Gesang unter die Sounds, alles geradeso abgemischt, dass sich hier niemand benachteiligt fühlt. Dan Deacon schichtet brillant, nicht vom Anfang bis zum Ende, aber egal.
Und noch so ein 2010-Nachleger, bei dem es sich aber genau umgekehrt zu Beach House verhält. Legten Bear in Heaven damals den passenden Soundtrack für süße Träume in Rauchschwaden hin, der von zwei großen Songs geprägt wurde, erweist sich I love you, it’s cool, dessen Größe sich mir erst nach vielen Durchgängen erschloss, weniger spektakulär und ohne hervorstechenden Hit. Stattdessen bietet I love you, it’s cool 80er-geprägten Elektropop in Moll, der gerade dadurch überzeugt, dass er nicht mehr sein möchte, sondern bloß Tanzmusik für die, die nicht tanzen möchten!
Es darf wahrscheinlich einfach nicht unerwähnt bleiben, dass das an Botticelli erinnernde Cover ein Jugendfoto der Mutter des Sängers zeigt, die sich 2009 umbrachte. Dieses tragische Ereignis wie Leben ist es, um das es in diesem Album geht, als unmittelbare Auseinandersetzung und Verarbeitung. Und auch wenn man diese sehr persönlichen Einflüsse in der Berichterstattung wohl nicht ausblenden kann, und vielleicht über die gegenseitige Wirkung von Schmerz und Schönheit spekulieren mag, so soll es für jetzt egal sein: das ist einfach schöne Musik und fertig.
Der 21jährige Songwriter Jack Tatum veröffentlichte im Sommer 2010 während seines Abschlussjahres am Blacksburg College im Bundesstaat Virginia mit »Gemini« eine der schönsten Pop-Platten des Jahres, die es so auch in den 80ern hätte geben können. Smiths, The Jazz Butcher, Felt, The Chills – da kommt ein ganzer Zirkus zusammen. Damals hätte man auch schon Dreampop dazu sagen können. Hat man aber nicht. Tatum, inzwischen fertig mit seinem Studium, ist von Blacksburg nach New York gezogen und hat mit »Nocturne« nachgelegt, und auch auf seinem zweiten Album bleibt er seinem Sound treu. Und viel wichtiger: Er hat erneut den richtigen Ton getroffen. My Melody!
Wow, 24.08.2012 war ein guter Tag für Gregor, denn da wurden alle drei hier vorgestellten Favoriten veröffentlicht…
So jetzt mal meine Statements zu dem Eurigen (vielleicht doof für andere nachzulesen, wenn sich drei Leuts hier gegenseitig auch noch zukommentieren, aber wir haben ja tatsächlich nicht über unsere Nominierungen untereinander gesprochen):
Durch das Livevideo nochmal richtig auf Dan Deacon neugierig geworden und heute angehört: könnte noch wachsen, der USA-Teil vor allem gefiel mir jetzt auch richtig gut. Aber es hat auch was ennervierendes zum Teil.
Auch Goat ist vielversprechend, kannte ich vorher nicht (obwohls ja schon in der Seitenleiste mal auftauchte). Verlinktes Stroboskopvid find ich nun auch tufte und ist ja sehr knife-ig alles oder?
Wild Nothing hat seltsamerweise (obwohl doch der Vorgänger bei mir ganz vorne in der Jahreswahl gewesen war) überhaupt nicht verfangen. Jetzt find ichs eher sehr langweilig. Kann aber auch daran liegen, dass mir schlicht grad nicht der Sinn nach Whimp steht.
Das vorige Türenalbum fand ich auch großartig, das hier komischerweise fast ausschließlich kindisch und muckerhaft.
Dafür ist die Bear in Heaven von mir noch ungehört gewesen und auch hier verlief der erste Durchlauf positiv.
Hab mir jetzt mal alles, was ich von R und G noch nicht kannte, reingezogen. Dabei hat mich Goat am meisten angesprochen, vor allem in Kombination mit Gregors Kommentar, der mir sehr gut gefallen hat, insbesonder der Teilsatz, „dass man damit immer noch oder gerade wieder lecker Kuchen backen“ kann. Ansonsten fällt mir auf, dass man sich hinsichtlich Abwechslungsreichtums, was den Musikstil der bei R und G Platzierten betrifft, nicht beschweren darf, vielmehr schlackern mir diesbezüglich meine Öhrchen!
Dass man das neue Türen-Album als „kindisch und muckerhaft“ empfinden kann, stimmt mich wiederum sehr traurig. Man höre sich nur mal „Dieses Lied“ an. Keine/-r, dem/-r ich es bisher vorgeführt habe, konnte sich einer Würdigung entziehen. Aber des Herrgotts Tiergarten ist ja bekanntlich sehr, sehr groß …
Bear In Heaven: Bin ich den bescheuert? Wie konnte ich das bisher verpassen?
Bat For Lashes: Das Cover macht mir Angst, hat mich tatsächlich bisher davon abgehalten, mal reinzuhören. Die Türen interessiert mich gerade nicht. So ganz by the way: das war ja wohl nicht gerade das Musikjahr der Deutschen. War’s das mit Germany? James Scott »Jimmy« Tamborello more commonly known as Dntel hat mir ein bisschen zu lange Pause gemacht. Da kam nicht mehr viel an bei mir. Lost In The Trees, sehr nice. Womöglich was für Wälder? Da sind wir auch schon bei Christian Löffler – A Forest, also der Song, ist ja so was von Brett. Da bin ich ganz bei dir, Roland. Und richtig so, The Aaron Boudreaux Special rein in die Liste und weg mit den Relevanzkriterien…
Number 7: Squarepusher – Ufabulum
D’n’B ist immer so ne Sache bei mir. Klingt fast alles gleich und so richtig von Hocker gehauen hat mich selten mehr als mal ein Einzelsong (Davon gabs dieses Jahr dafür einen Überhammer: http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=epsUfFZ5i6Y). So hätte ich die Neue von Squarepusher ohne Hörsturz auch eher nicht in meine Top10 Liste genommen, doch diesen gabs schon zum Live-Intro desselben gratis dazu. Wers nicht mit eigenen Augen gesehen und seine Ohren spüren lassen hat, der kann sich unmöglich vorstellen was ein Spektakel die Zuschauer erreichte! Wie wir damals sagten Seb, DAS ist Musik!
(Auf Spotify nicht verfügbar)
Number 6: Charli XCX – You’re The One EP
Die erste von drei versprochenen EP’s. Das Goth-Girl hat die Stimme des Jahres, keine Frage, auch wenn nur 3 Originale ihren Weg auf die EP fanden. Electropop trifft Goth trifft HipHop! Geil! Und auch die drei Remixe wissen ihren Weg in mein Herz ohne Umwege und unglaublich direkt zu beschreiten. Ihr gehört die Zukunft!
http://open.spotify.com/album/5wTWHQGwBKQMeoAGHoL1AU
Number 5: Icona Pop – Iconic EP
Und hier ist sie auch schon, EP Nummero zwo! Icona Pop, das sind zwei fesche, blutjunge (nur ich bin jünger ;P) Mädels aus Stockholm. Auf dem Melt noch vor knapp 100 Leuten, gelang den beiden der Durchbruch mit EP Nummer zwei. Der Opener „I Love It“, in dem Charli XCX mitwirkte, dröhnt sogar aus dem Nebenzimmer meiner Schwester und mindestens Stündlich aus dem TV. Eigentlich würd ich mich ja schämen, wenn nicht die Musik so arschaffengeil auf der EP wär! Gutelaune-Party-Massenfeierpop as its best. Jeder, wirklich jeder Song hierdrauf ist so hittig, dass es beinahe schon unverschämt ist! Icona Pop, auch EUCH gehört die Zukunft!
http://open.spotify.com/album/0KnMEEZYs9xT4io4bMNqAx
Jo,
der Squarepusher-Live-Act aufm Melt war mein Konzert-Ereignis des Jahres. Hab mir jetzt auch mal Charli XCX und Icona Pop (von letzteren auf Spotify nur ein Song) angehört und muss sagen: Deratige Mucke gefällt mir im Sommer aufm Melt, im Winter vor dem Rechner weniger. Wie gesagt, halt Gutelaune-Party-Massenfeierpop!
7/ Die Türen: H: „Ja, nicht unsympathisch, aber eben schon wieder witzig.“ — M: „Das ist ja unfaßbar Retro. Deutsche Wave-Singles so 1980/1981, aber ganz genau nachempfunden. Ja, und das Witzige mag ich auch nicht. Halt so „Lasst uns ein bisschen Spaß haben im Übungsraum“.“
7/ Bat for Lashes: H: „Klingt nach Radio. (Mehr habe ich nicht zu sagen.)“ — M: „Ja, stimmt. Es gibt ja drei Pop-Frauenstimmen, die alle schlimm sind: (a) Girlie-Gesang, (b) gehauchte Drama-Romantik, (c) Scheiß-lasziv gehaucht. Das da ist eine üble Variante von (b).“
7/ Goat: H: „Nicht unsympathisch. Wird akzeptiert. Klingt nach DRogen, aber nach sympathischen Drogen.“ — M: (Wovon verdammt noch mal redet sie eigentlich?) „Neo-Hippies, erinnert mich an Anfang der 1970er, aber ich mag es auch irgendwie.“
6/ Beach House II: H: (Erste Töne) „Nein! Weg! Das ist ja noch schlimmer als das erste Stück von denen!“ — M: (quengelt über Frauenstimmen im Pop heutzutage)
6/ Dntel: H: „??“ — M: „Tja, Computerspielmusik … Avantgarde vermutlich.“
6/ Dan Deacon: H: „Naja, es ist sympathisch, weil es selbstgemachter klingt, aber das ist auch schon das Einzige.“ — M: „Oh, ich mag das irgendwie: billiger Synthi-Lärm, ein bisschen Rocknroll-Dröhnen, das handgespielte Schlagzeug …“
5/ Bear In Heaven: H: „Von mir aus in Ordnung. Das ist wenigstens ein LIED. Genehmigt.“ — M: „Orchestral Manoeuvres in the Dark.“
5/ Lost in the Trees: H: „Ich mag keine Kopfstimmen. Aber eigentlich ist es in Ordnung. Der instrumentale Teil ist gut.“ — M: „Leute, die spielen können, mit Pullundern. Schon wieder ein wenig zuviel Kunst für meinen Geschmack.“
5/ Wild Nothing: M: „Eine junge Jungensband!“ — H: „Finde ich schon sympathisch.“ — M: „Aber so gut wie Smiths, ich weiß nicht?“ — H: „Smiths finde ich besser.“ (Sie kennt eine Live-CD aus dem Auto und mag da ein Stück.)
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