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Die besten Alben 2020 – Plätze 4 und 3

Gregors No. 4:
Fleet Foxes – Shore
(Anti / Indigo)

Ich war eigentlich fein mit dem einen, herausragenden Album der Fleet Foxes (auch schon wieder zwölf Jahre her) und bin in „Shore“ eher reingestolpert. Zum Glück. Mit den Fleet Foxes verhält es sich wie mit einem guten alten Freund, den man länger nicht gesehen hat. Sofort vertraut, wahre Freundschaft eben, die den ständigen Wechsel der Jahreszeiten und den Kreislauf allen Lebens von Jahr zu Jahr spürbarer werden lässt. Die Fleet Foxes bleiben auch auf ihrem vierten Album dicht und ergreifend, die Stimme von Robin Pecknold das Maß aller Dinge, Himmelsmelodien, die weit über der Landschaft schweben. Mit dem Eröffnungsstück „Wading in waist-high water“ ist der Pegelstand bereits so hoch, dass sofort Wasser über die Ufer tritt, danach fließt das Licht von allen Seiten hinein. Und fließt. Und fließt. Und fließt.


Rolands No. 4:
Sophie Hunger – Halluzinationen
(Caroline / Universal)

Lange etablierter Name, nie wirklich mit beschäftigt, bis zu diesem Album. Das schlug aber unmittelbar ein, schon beim ersten Hören. Das Dings wurde als Ganzes live in einem Take eingespielt (es brauchte aber wohl sechs Durchläufe, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht war). Ob das jetzt für den wahrscheinlich beabsichtigten organischen Gesamtsound sorgte, sei mal dahingestellt, jedenfalls ist ein rhythmisch interessantes wie verspultes Album mit ebensolchen Texten herausgekommen (mehrsprachig, was vielleicht bei einer Schweizer Globetrotterin auch zu erwarten ist). In Zukunft jedenfalls bin bei Sophie Hunger sofort mit dabei.


Gregors No. 3:
Bent – Up in the Air
(Godlike & Electric)

Bent aus Nottingham haben für das Gute-Laune-Gefühl ordentlich Vitamin D in
ihre Musik gepumpt – beigemischt mit Exotica, Easy Listening und vielen anderen Downtempo-Sounds. Das Supervitamin, das ihnen einen Platz im Apothekerschränkchen sichert, scheint aber trotzdem bis heute zu fehlen. Bent kennt: NIEMAND. Zumindest kommt mir das so vor. Zwischen „Up in the Air“ und ihren Vorgängeralben lag eine ziemlich lange Pause, Google war noch ein Geheimtipp und StudiVZ das Netzwerk der Stunde. Es finden sich zwar hier und da digitale Urzeit-Spuren, Ende der 1990er Jahre gab es in England sogar mal einen regelrechten Hype um die zwei Electronica-Produzenten. Ihr aktueller Release wurde aber zumindest in Deutschland weitestgehend ignoriert. Warum nur? Beim Aneignen von Basiswissen gefiel mir die Anekdote besonders gut, der zufolge die Musik von Nana Mouskouri eine ihrer favorisierten Sample-Quellen war. Aber auch das scheint lange her.

[Kein Video von Bent auffindbar.]


Rolands No. 3:
Jessie Ware – What’s Your Pleasure
(Virgin / Universal)

Als ca. 15jähriger, auf einer der Geburtstagsparties im Gemeindezentrum. Jemand kommt plötzlich auf die Idee, aus Spaß die letzte Madonnaplatte aufzulegen. Wir Indienasen beginnen, ironisch dazuzuhopsen. Langsam ändert sich die Energie im Raum, bis schließlich erstmals am Abend überhaupt die Menge zu einer einzigen Tanzmeute verschmolz und, wie man so sagte, die Hütte brannte. Wir haben dann einfach das ganze Album laufen lassen. Das ist so ungefähr mein Initiationserlebnis in Sachen populärer Tanzmusik. Und Jessie Ware gibt einiges davon zurück, eine Retroplatte, mit einem Danceburner nach dem anderen und Anleihen an alle möglichen 1980er-Größen, ohne im reinen Rückwärts, sondern auch ausreichend jetzig zu bleiben. In diesen isolierten Zeiten hat das zumindest meinen – bisher eher theoretischen – Wunsch befeuert, mal wieder auf Tanzflächen hopsen zu gehen und ließ mich zuhause meine eigene Tanzmeute sein.

Die besten Alben 2020 – Plätze 7 bis 5

Gregors No. 7:
Destroyer – Have We Met
(Dead Oceans / Cargo)

Mir dämmert langsam, dass ich mit jedem neuen Song und jedem neuen Album der Referenzhölle ein Stück näher komme. Alles hängt mit allem zusammen, jeden Tag ein bisschen mehr. An manchen Tage fühle ich mich wie ein Algorithmus von Spotify (ich lass das jetzt trotzdem mal alles bei mir). Also, Dinge einfach halten: Destroyer, Songschreiber aus Vancouver, bürgerlicher Name Daniel Bejar, bringt seit 1995 fast jährlich ein Album raus, bis heute 13 an der Zahl. Und seit dieser Zeit denkt Bejar über unsere (kaputte) Welt auf seine ganz eigene Weise nach: „Sing the least poetic thing you can think of and try to make it sound beautiful“, sagte er mal in einem Interview und gab damit zu erkennen, wie er Songwriting versteht. Bejar hat in den letzten Jahren eine beachtliche Fangemeinde hinter sich versammelt, die ihn bei all seinen musikalischen Wandlungen gewissenhaft begleitet. Angeblich haben sie ihm zu Ehren sogar ein Trinkspiel erfunden: „Drink if there’s a reference to fire or other disaster; drink twice for mention of an apocalypse“. Also, Schnapsflasche auf den Tisch und gut zuhören.


Rolands No. 7:
Kelly Lee Owens – Inner Song
(Smalltown Supersound / Cargo)

Gestalterisch das Cover des Jahres. Mir fällt auf die Schnelle und auch bei längerem Überlegen niemand ein, der/die Techno und Pop je so gut zusammengebracht hätte, ohne dass dabei das eine ins andere über- und unterginge, sondern beides tatsächlich stets eigenständig und gleichzeitig da ist. Tanzbar einerseits, Melancholieinseln andererseits.


Gregors No. 6:
Fontaines D.C. – A Hero’s Death
([PIAS] / Partisan)

Das dritte Album sei das schwierigste, heißt es oft. Dabei wird häufig übersehen, dass mit einem guten zweiten Album erstmal die Voraussetzungen geschaffen werden müssen für die Möglichkeit eines historischen Tiefschlags. Den Fontaines D. C. ist das gerade gelungen. Die fünfköpfige Band, die aus Dublins Arbeiterviertel The Liberties stammt, hat sich 2019 mit einem platzierten Schuss in den Winkel urplötzlich auf Augenhöhe mit Bands wie den Arctic Monkeys, Maximo Park und Art Brut gesehen. „Dogrel“ war nichts Geringeres als die Wiedergeburt dessen, was in Großbritannien alle paar Jahre geschieht: Eine neue Welle, die sich über die Insel ergießt und dann zu uns ans Festland schwappt. Mit „A Hero’s Death“ haben die Fontaines D. C. dieses Jahr nachgelegt und sind gleich beim Alterswerk gelandet. „Happiness really ain’t all about luck“ heißt es im titelgebenden Song. Es braucht eigentlich ein paar Alben (und Lebensjahre), um solchen Zeilen zu schreiben.


Rolands No. 6:
Sevdaliza – Shabrang
(Butler / H’Art)

Wisst Ihr noch? Triphop? Irgendwann von der eigenen Erdenschwere erschlagen. Sevdaliza gelingt die Revitalisierung: mit vermutlich sehr bewusstem Rückgriff auf familiäre Musiktraditionen (als Kind aus dem Iran geflohen in die Niederlande). Gerade beim Gesang höre ich jedenfalls deutlich Klangfarbe und Melodieführung „nahöstlicher“ Musik heraus (vielleicht aber auch mein banausisch exotisierendes Hören?). Wenn das mit sporadischem Autotune und allerlei Knisterknaster-Effekten zusammengeht, ist das Ergebnis stellenweise spektakulär und zeigt, was dem untergegangenen Schleppbeatgenre vielleicht vor allem fehlte: Eleganz.


Gregors No. 5:
Golden Diskó Ship – Araceae
(Karaoke Kalk / Indigo)

Von Noiserock über Post-Punk zu Süßpop ist es manchmal nur ein Halbton, wenngleich in der Musik von Golden Diskó Ship sehr viel mehr zu finden ist als ein bunter Strauß schöner Melodien. Obwohl die sechs Songs von „Araceae“ extrem weit auseinander liegen und außergewöhnlich viele Schattierungen, Farbtöne und Texturen vereinen, ist die Gemeinsamkeit eben jener unüberhörbar. Ich könnte jetzt auch Süßpop durch Kammerpop ersetzen und es fiele niemandem auf. Oder Dreampop. Das Album als organisiertes Schallereignis ist bei der Berliner Multiinstrumentalistin Theresa Stroetges auf jeden Fall in guten Händen. Wer genau hinhört, entdeckt unzählige Details und wird hineingezogen in aufregende Klanglandschaften, ohne dabei den Zusammenhang zu verlieren.

Rolands No. 5:
Phoebe Bridgers – Punisher
(Dead Oceans / Cargo)

Das erste, was mir bei Phoebe Bridgers einfällt, ist: „Haunting Music“. Schon beim ersten Album etwa huldigte sie im Video zum damaligen Hit „Smoke Signals“ dem Die-Toten-sind-unter-uns-Klassiker Carnival of Souls und tatsächlich: lässt ihr außergewöhnlich klarer Gesang die Lyrics so deutlich aufscheinen, dass ich ganz genau zuhören will – oder muss, und sie einen beschäftigen und verfolgen. Beim Zweitling wird der Zwischenweltaspekt nochmal besonders ausgespielt: fragmentiert bleibende Songs mit dezenten Hall-, Flüster- und Windeffekten, einer heißt natürlich „Halloween“. Dazu der leicht zu groß geratene Skelett-Pyjama als Tourkleidung, wie ein ironisches Zeichen auf jene rächende Comicfigur, auf die der Albumtitel referenzieren mag. Oder dieses letzte lange, albern wie schaurige Aushauchen am Ende von I know the end, dem Schlussong des Albums, der im übrigen so beginnt: Somewhere in Germany, but I can’t place it / Man, I hate this part of Texas – Denn, was sind Gespenster anderes als: fehlplatzierte Wesen? Was dem/der einen ein Grusel ist, ist dem/der anderen das Gefühl der eigenen Awkwardness. Die Doppelbelichtung ist eines von Bridger’s dauernden Themen, meine ich.

Die besten Alben 2020 – Plätze 10 bis 8

Unglaublich, aber wahr: wir haben seit 5 Jahren keinen Jahresrückblick mehr gemacht.

Und ist ja auch irgendwie aus der Zeit gefallen. Aber sind wir nicht alle gerade aus der Zeit gefallen, und hilft da nicht insbesondere Musik? – Also, machen wir es wieder, here it goes again:

Gregors No. 10:
Die Sterne – Die Sterne
([PIAS])

Wenn es dieses furchtbare Video zu „Der Palast ist leer“ nicht geben würde – wer weiß, wie mein Zugang zu dem neuen Album der Sterne ausgefallen wäre. Hab aber zum Glück dann doch noch rein gefunden. Die Sterne selbst sind für mich eher wachsame Zeitchronisten, fahrendes Volk, das von Ort zu Ort zieht, um seine Melodien weiterzugeben. Nichts für zuhause also, waren sie nie für mich. Bis heute. Mag daran liegen, dass ich nicht vor der Tür war oder zumindest anders als sonst. Auf ihrem gleichnamigen Album macht Sänger Frank Spilker mal wieder das, was er am besten kann: unwiderstehliche Melodien produzieren, die auf der zweiten Hälfte des Albums zwar ein wenig abflachen. Ihr Best-Of-Repertoire wurde aber mindestens um drei neue Stücke erweitert, die ich mir dann demnächst wieder pflichtbewusst beim örtlichen Veranstalter anhöre. Alles andere ist keine Option!


Rolands No. 10:
Gia Margaret – Mia Gargaret
(Orindal)

Gia Margaret verlor ihre Stimme, buchstäblich. Auf der Tour zu ihrem ersten Album schon erste Gesangsprobleme, Anfang 2019 dann endgültig zu Schweigen und Nichtsingen verdammt, schwerwiegende Kehlkopfentzündung. Sie tat, was notwendig war, alle möglichen Gerätschaften zusammensuchen, schrauben, basteln, samplen. Zuvor so ein Folkding, jetzt Plickerdiplocker-Elektronica, bestens geeignet zum Wegdösen, Einmummeln, Weltfliehen.


Gregors No. 9:
Friends Of Gas – Kein Wetter
(Staatsakt / Bertus)

Die Friends Of Gas. Ich vermute jetzt einfach mal, dass die Band aus Essen kommt und ihren Proberaum im Keller hat. Bunkerbeton, Eierkarton, Perserteppich. Dekontextualisiertes Hören, wie ich unlängst erfahren habe. Man weiß eben kaum noch etwas über die Musik und ihre Urheberschaft. Scheinbar ist das wohl auch egal. Egal. FOG ist unfassbar dicht an der Lösung, lange nichts Gitarriges gehört, das in solcher Perfektion und mit so viel Hingabe gespielt wurde. Und der Gesang! Ich sach’s jetzt einfach mal: Kim Gordon, oh ja, Kim Gordon herself würde es auch nicht besser machen. FOG hört man nicht mal ebenso in der Bahn, im Sommerblau und oft schon gar nicht. Zu laut, zu lästig. Eine Umschreibung, die es vielleicht auf den Punkt bringt: „Die Friends Of Gas sind der Sound des Nicht-Einverstanden-Seins“. Ich wollt‘s dann doch wissen.


Rolands No. 9:
This is The Kit – Off Off On
(Rough Trade/ Beggars Group / Indigo)

Relativ frisch durch den Spotify-Algorithmus angespült und war mir zuvor gänzlich unbekannt, aber bereits das fünfte Album von Kate Stables alias This is the Kit. Milde verschachtelt, unaufdringliche Bläserarrangements, angenehm unspektakulär. Brennt nicht, sondern glimmt und könnte deshalb auch länger vorhalten.


Gregors No. 8:
Working Men’s Club – Working Men’s Club
(Heavenly Recordings)

Beim Namen fiel der Band aus Yorkshire wohl nichts besseres ein. Sei’s drum. Die Band kickt Arsch. Wir kennen das von den DFA Records Artists, die uns Anfang des Jahrtausends mit ihren Produktionen die Füße unter dem Boden weggezogen haben. Ein bisschen The Juan MacLean, ein bisschen James Murphy. In Wirklichkeit aber ist der Working Men’s Club von klassischer 80er-Elektronika, von Post-Punk, Cabaret Voltaire und New Order’s „Technique“ durchdrungen. Dass „Working Men’s Club“ dennoch frisch, contemporary und prickelnd klingt, hängt nicht zuletzt an Sänger Syd Minsky-Sergeant, der mit todsicherem Gespür ein extrem stimmungsvolles Debüt hingelegt hat. Mit dem ein oder anderen Song würde ich gerne mal wieder spät nachts auf der Bar der Morgenröte entgegenhopsen. „Der Puls ist das Jetzt in seiner Totale“ hat mal jemand gesagt. Hier pumpt das Herz zum Beat.


Rolands No. 8:
Adrianne Lenker – songs
(4AD /Beggars Group / Indigo)

Die Band Big Thief: hoher Output, viel gefeiert, aber ich konnte nix mit anfangen. Jetzt hat Bandmitglied Lenker eine Rückzugsplatte herausgebracht (gibt noch eine gleichzeitig mit Instrumentals), mit der einfachen Formel: Rekorder raus, Mikro an, Gitarre und Gesang. Aufnahmerauschen und Sprechmuschelsound inklusive. So unbehauen funktioniert das dann auch bei mir.

Machtdose auf YouTube

Sooo, Machtdose jetzt auch auf YouTube:

Zu finden sind dort alle Aqual(o)unge Mixe und alle weiteren sonst, die sich über die Jahre hier angesammelt haben, bisschen optisch aufgehübscht mit Pulsausschlag und so. Zugriffszahlen absolut vernachlässigbar, ist auch vorrangig für mich selbst, da hab ich sie dann zum Selberabspielen zur Hand (ja, höre ich immer noch, eignen sich nämlich größtenteils sehr gut zur Musikbegleitung beim Arbeiten).