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plattenkritik

Plattennovember

Das Spiel um musikalische Trends und Hypes ist eigentlich eine lernbare Angelegenheit. Sie fegen gewöhnlich mit hoher Geschwindigkeit über die Menschheit hinweg, um nachfolgend als laues, meist sogar angenehmes Lüftchen zu verpuffen. Und im Resultat wird aus der Modeerscheinung fast immer ein Fall für die Geschichtswissenschaft. Manche mag das nerven, ich dagegen bin inzwischen renitent gegen die regelmäßige Wiederkehr dieses Hergangs. Mit Erscheinen der 3CD-Box Death From Above Compilation #2 erreicht ein solcher Trend soeben seinen vorläufigen Höhepunkt. Der Song »losing my edge« (LCD Soundsystem) aus dem Jahr 2002 war der Beginn eines hysterischen Streifzugs durch die Kreuzungsgeschichte von Punk und Dance. In dessen Fahrwasser bewegen sich dieser Tage Bands wie Radio 4, The Rapture, !!! und A.R.E. Weapons, die mit ihrem New Indie Groove das Destillat einer ohnehin wenig bekannten Strömung aus den späten 70ern und frühen 80ern um Bands wie Gang of Four oder P.I.L. neuerlich bearbeiten. Einen ehrbaren Eindruck hinterlassen dabei die Herren James Murphy (LCD Soundsystem) und Tim Goldsworthy, die Anfang 2000 das Label DFA Records aus der Taufe hoben, um ihre Version von punkiger Tanzmusik, vereinheitlicht unter dem Begriff Death Disco, in bester DIY-Tradition zu veröffentlichen (die Elephantenhochzeit mit EMI wird daran wohl kaum etwas ändern). Da DFA Records bisher mehr als Vinyl-Only-Label in Erscheinung getreten ist, bietet sich nun die passende Gelegenheit, den Acts des Labels auf einen Schlag zu begegnen. Neuen wie Alten. This compilation grooves, funkily, and rocks, ruggedly — zuhause und im Club!

Ins Wohnzimmer gehört auch irgendwie das fabelhafte Album Five Years In The Factory des kanadischen Rappers McEnroe. Mal abgesehen von der überragenden Single »Party People« sowie dem eminemgleichen »Dump it down«, haben wir es auf seinem zweiten Longplayer vorwiegend mit entspannten Downbeats zu tun, die zu gepflegtem Headbangen einladen. Textlich gibt sich McEnroe gerne aufsässig, verschmäht die Amis, wann immer er kann, pflegt die Liebe zum Underground, unterhält so ganz nebenbei ein Label namens Peanuts & Corn, macht also alles genau so, wie man es mag und gewohnt ist. Zudem sind seine Skillz eher fett. Im Unterschied zu vielen seiner Left-Wing-Kollegen, die den Big Players des Business gerne mit billigen LoFi-Produktionen trotzen, hat sich der 26-jährige eine Technik draufgeschafft, die eigentlich dick einschlagen müsste. Und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass er die Kellerbar seines Vancouver Viertels nie verlassen wird. Daran wird diese Empfehlung wohl auch nichts ändern. Tipp!

V.A. — DFA Compilation #2 (DFA/EMI)
McEnroe — 5 years in the factory (Vertical Form)

Plattenseptember

Wenn man sich mal überlegt, welche abgenutzten Musikgenres sich einer fundamentalen Überarbeitung unterziehen lassen müssten, die Liste wäre lang, so lang, dass ein Maschinenwärter als Referenzprojekt vielleicht noch Sinustöne programmieren könnte. Der elektronischen Musik, oder vielmehr ihren Schöpfern, obliegt nicht erst seit gestern die ehrenvolle Aufgabe, die Gebrauchsspuren der letzten 100 Jahre zu beseitigen, mit der Tradition zu brechen und neu zu zitieren. Das ist harte, nicht enden wollende Arbeit, abgeschöpft aus dem Tonarchiv der still vor sich hintreibenden Vergangenheit. Poto & Cabengo ist ein Duett, das diesen Verwaltungsposten übernommen hat, das Spiel mit unseren Gewohnheiten aber nicht aus den Augen verliert. Ihre Musik ist von Country und Folk beeinflusst, von den Talking Heads ebenso wie von Velvet Underground. Ihre Musik ist weder verkrampft noch schnöde Kopie. Dafür sorgt die Elektronik. Und das Talent. Beides ist ausreichend vorhanden und in diversen anderen Projekten bereits erprobt (vgl. Kandis/Karaoke Kalk 009). Mit ihrem gleichnamigen Album haben die beiden etwas kreiert, das allen Verweisen und Zitaten zum Trotz ausschließlich für sich steht. Darin ihre Kunst zu sehen, ist ein Fehler nicht.
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Plattenoktober

1997 setzte Etienne de Crecy mit „Superdiscount“ eine Marke in Sachen Gestaltung und House. Die Cover vierer Vinylsingles fügten sich in einer Reihe zum schaurigschrillsten Billiganbieterlook. Billig aber war die Musik nicht, sondern es gab standardsetzende Clubklassiker (die u. a. „French House“ zur endgültigen Popularität verhalfen). Das Sequel „Superdiscount 2“ ([PIAS]) kalkuliert sein Klassikersein gleich ein und reicht mehrere Tanzepochen zurück: Aciiiid! Striktens durchlaufende Arpeggios, die 303 sprotzelt munter. Sounds, von denen man gar nicht wusste, das man sie vermisst. Funktioniert tadellos. Zum Konzept passt, dass die Stücke den Total-Räumungsverkauf der Musikindustrie im Namen tragen, d. h. nach den gängigsten Datentauschbörsen benannt sind. Während die wohl noch geraume Zeit darbt oder stirbt, feiern sie nicht nur auf Ibiza schon wieder, sondern unabhängig davon blühen die schönsten Labelrosen. Eine besonders prächtige ist Gomma, deren Macher als Munk gerade ihr Debutalbum „Aperitivo“ geben. Think global, act local auch die Musik, weltläufig und eigenständig. Da ist ungefähr alles drin, was grad als zeitgemäß durchgehen darf. Und nie fehlt Ironie, wie etwa beim Stück „Portofino“, das im besten Italozeichentrick loshupft. Eine ordentliche Rappelkiste hat auch Diplo mit „Florida“ (Big Dada / Ninja Tunes) zurechtgezimmert. Instant-Hiphop, weitestgehend instrumental, auffällig dumpf produziert (reimt sich auf Sumpf und im Pressetext zur Platte steht auch irgendwas mit Everglades, Florida und so), ohne je düster zu wirken, vielmehr scheppert, ruckt und zuckt das sehr harmonisch zusammen. Eine Samplebank außerdem.

Sufjan Stevens

Sufjan Stevens - Michigan In Freundeskreisen gelte ich als einer, der seiner Begeisterung nicht gerade den expressivsten Ausdruck verleiht. Tendenziell bleiben die Arme verschränkt und vielleicht lasse ich mich gerade noch zu einem „gar nicht mal so schlecht“ hinreißen.

Aber manchmal kommt es dann doch vor, da kann sogar ich alte Mäkelbacke kein Haar mehr in der Suppe finden und muss rückhaltlos eingestehen: das ist ja wohl ohne jede Einschränkung einfach nur fantastisch und gut. Letztes Beispiel: Sufjan Stevens.
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Plattenaugust

Dass Tarantino der Panflöte zu unangemessener Popularität verhalf, werde ich ihm so schnell nicht verzeihen. Die Reminiszenz an den rumänischen Panflötenspieler Zamfir ist beileibe kein Glücksgriff des Splatter-Regisseurs gewesen. Anders verhält es sich mit den übrigen Snippets in Kill Bill. Wie so oft verhalf Tarantino unbeachteten Underground-Subbotniks und in Vergessenheit geratenen Chansoniers zu unerwartetem Weltruhm. Das japanische Garage- und Rockabilly-Trio The 5.6.7.8’s hat seinen Erfolg allerdings Tarantinos »Braut« (Uma Thurman) zu verdanken. Ihr Massaker an den Mitgliedern der Deadly Viper Assassination Squad in einem Tokioter Restaurant bekommt durch die Gastrolle der Band die Dimension eines Schlachtfests. Selten war Blut so schön. Ihre Best-Of-Compilation »Bomb The Rocks – Early Days Singles!« enthält neben dem Hit des Films »Woo Hoo« 26 weitere Stomper, die das Laienspiel der Damen zu einem herrlichen Vergnügen machen. Die CD sollte man in zwei Teilen genießen, schließlich ist eine Spielzeit von 73 Minuten alles andere als Rock’n’Roll.

Von Spar - 11.04.2004
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Das richtige Zeitgefühl haben Von Spar auf ihrem Debüt gehabt. In 36 Minuten rennen die fünf Kampfhähne zehn Mal über den Platz, heben dabei den Mittelkreis aus und verteilen Handzettel im Publikum. Ganz unmissverständlich lautet ihre Mission Rebellion, durch charmante Posen angerissen, findet diese allerdings nicht an der Front statt. Man rauft sich auf dem Ascheplatz, neben sich das Flüchtige ihrer kryptischen Liedzeilen, aufgezogen auf den Betttüchern ihrer durchgelegenen Futonmatratzen. Ich nenn‘ das mal kolossal, wie Von Spar ihre Gitarren zu den Parolen springen lassen. Eigentlich bewegt man sich mit »Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative« im Zentrum der Post-No-Wave-Ära, allenthalben Dance Music, frech und glamourös, nur verhält es sich eigentlich doch ganz anders: Hier ein Schuss Indierock (unglaublich, wie Frank Spilker, Die Sterne, den Refrain der Single »Ist das noch populär« verdichtet), dort ein wenig Punk und fast immer NDW (ja, Peter Hein, Fehlfarben, singt in »Schockwellen auf’s Parkett«). Nur ganz nebenbei schleicht sich bei Von Spar die Befürchtung ein, der einnehmenden Kraft ihrer Symbole und Zeichen hätten sie nichts hinzuzufügen. Also, ja nicht schlappmachen!

The 5.6.7.8’s — »Bomb the Rocks« (Sweet Nothing/Cargo) • Von Spar — »Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative« (L’Age D’Or) • Foto: Miriam Lindthaler – petite pomme

beigeGT – »Cue« (L’Age D’Or)

Auf dem Siegertreppchen stehen dieser Tage beigeGT mit ihrem nicht mehr ganz so neuen Album »Cue« (L’Age D’Or). Klar, wer ankündigt, den offiziellen Song (»Heat«) der deutschen Handballer für die Olympiade in Athen beisteuern zu wollen, diesen dann auch tatsächlich beim DHB abliefert, hat sofort gewonnen. Und wer den Engländern beim Hymnen schreiben das Wasser reichen kann, gehört ohnehin in die Hall of Fame. Unlängst traf ich mich mit der Band in der wüsten Baulandschaft des Wiesbadener Schlachthofs zum Interview, was sich als äußerst schwieriges Unterfangen erwies. Vier irische Kampfhähne, alle um die zwölf Jahre, wurden nämlich auf uns und das nachfolgende Foto-Shooting aufmerksam. Fortan gab’s selten blöde Störmanöver, die ihresgleichen suchen (das Bild legt Zeugnis davon ab, zum vergrößern anklicken!). Die Knirpse haben das verdammt gut gemacht, obschon sich jeder von uns insgeheim fragte, was aus dieser Welt bloß werden soll?

Foto: Miriam Lindthaler

Und die Musik? Nun ja, feinster Pop, wild, rau und atemlos, was das Regensburger Quintett da auf seinem zweiten Longplayer abliefert. beigeGT machen Indierock, tanzbaren Indierock, mal mit speckigem Metal-Riff, mal mit kleinteiliger Elektronik, die in die Musik einfließt. »Cue« hat den Schwung eines Hüftwurfs, dynamisch und elegant, immer schön aus spitzem Winkel, keine Auszeit, kaum gelbe Karten. Zu Recht Medaillenaspirant! Zum Olympia-Start wird nun »Heat« als Single ausgekoppelt und ein Musikvideo, in dem unsere Handballer zu sehen sind, veröffentlicht. Warum trotzdem Mariah Carey bei der Eröffnungszeremonie in Athen die Hymne singen darf, ist und bleibt mir ein Rätsel. beigeGT sind live zur Zeit die Nummer eins, in diesem Sinne, schöne Olympiade!

beigeGT – »Cue« (L’Age D’Or) – Foto: Miriam Lindthaler – petite pomme

Plattenjuni

platten aus dem juniSchon seit Mai zu haben ist die Compilation „Agenda 2010“ (L’Age D’Or) des Berliners Veranstalterduos Postfuck. Das gibt sich im Begleitheft manifest: seht mal, lauter geile Bands, alle haben was miteinander und wir sind das Jetzt! Zusammen hält die Auswahl der Elektrotröt, mit dicken Daumen am Bass und Spielzeughämmern auf die Tasten. Vorrangig Spaß am Spaß, gemeinsames Durchzechen, siehe Cover. Da finden sich dann so Kracher wie „Fake Boys“ von Robocop Kraus, der wohl jeden Tanzflur endgültig in Schwielen haut und sympathisch Albernes wie „Melancholie der Standorte“, d. h. mal Scooter sein, aber auf intelligent, oder fast. Insgesamt eine gelungene Selbstvergewisserung, die darüber hinaus taugt als Statement gegen alle da draußen. Endlich raus ist das Album „Louden Up Now“ (Warp) der !!! (sprich: Chk Chk Chk). Die hatten letztes Jahr schon mit „Me and Guiliano“ Dancepunkvoodoo allererster Kajüte geliefert. Strikt geradeaus geht es auch auf der Platte lang, dabei bleiben !!! aber erfreuliche Experimentiere. Es scheppert und kracht, auf Ryhthmus gebracht, dass die Boxen nur so vor Freude mitwuppen. Ich tippe mal, die werden in ziemlich vielen Jahrescharts ziemlich weit vorne liegen. Mit etwas Gewalt könnte man ja behaupten, der alte Zausel Jimi Tenor sei für das gerade laufende Elektrorockpunkdings nicht unverantwortlich. Obwohl der längst woanders ist, nämlich beim Soul. Zusammen mit Gattin und Sängerin Nicole Willis hat er jetzt deren neues Album „Be it“ (Sähko) produziert und geschrieben. Stellenweise hört man sogar noch das Gezutzel aus früheren Tagen raus, ist aber dann doch auf Wohlklang zurechtgerückt. Ganz und gar unnervig, auch, weil zum Beispiel größere Gesangsvirtuosereien ausbleiben. Wenn ich in einem Straßencafæ säße, die Sonne schiene mir aufs Haupt, und das liefe, ich wärs zufrieden.