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Die besten Alben 2022 – Plätze 3

Gregors Nr. 3:
Wet Leg – Wet Leg
(Domino)

Vor drei Monaten noch hatte ich keine Ahnung davon, wie alles zusammenhängt. Ganz weit hinten klingelte es nicht wirklich identifizierbar: »Harry Styles already ranked among the biggest pop stars in the world«. Ich kannte zuvor weder ihn noch seine Boygroup, war auch nicht interessiert. Bis Mitte September, bis zum Kinostart von »Don’t Worry Darling« (R: Olivia Wilde), in dem er einen Ehemann in einer utopisch geführten Gemeinschaft spielt – bestenfalls im Schatten der großartigen Florence Pugh, dort aber richtig gut. Jener Styles also, mit dem ich darüber meine Bekanntschaft machte, covert wenige Monate nach dem Release den bisher vielleicht größten Hit der Wet Legs: »Wet Dream«. Dass seine verweichspülte Fassung mehr Klicks auf YouTube zählt als das Original, ist eine andere Geschichte (und gemessen an Styles‘ Popularität nicht weiter verwunderlich). Denn klar: Wet Leg spielen lupenreinen 90s Indierock, dicht dran an Le Tigre und den Breeders. Kennt noch jemand die genialen Queen Adreena? Auch das klingt an. Klick-Millionäre klingen jedenfalls anders. Was im 90er-Indierock aber noch wie aus dem Moment geboren klingt, ist bei Wet Leg sauber durchproduziert bis ins letzte Detail. More pop less Punk! Großartiges Album einer tollen Band von der Isle of Wight, die demnächst im Vorprogramm von Harry Styles zu sehen ist.


Rolands Nr. 3:
Fort Rameau – Being of Light
(Ghostly International)

Fort Rameau ist Michael Greene, fest installiert seit Jahren in Sachen House und mir völlig unbekannt bis hierhin. Das Album ist Entsprechendes und ich kann dann auch wenig mehr sagen, außer, dass es mir extrem gut reinläuft, weil es wieder eher entspannteres Grundtempo liefert und zugleich sehr abwechslugreich innerhalb der Genregrenzen sich zeigt. Einfach gute elektronische Musik, was soll ich sagen!

Die besten Alben 2022 – Plätze 4

Gregors Nr. 4:
Die Sterne – Hallo Euphoria
(PIAS / Rough Trade)

Ich bleibe dabei: Das mit den Videos wird bei den Sternen nichts mehr. Lasst die Finger davon! Selbst ein Testbild wäre interessanter. Aber egal. Nachdem mich die Geschichten und Melodien von Frank Spilker nun schon mein dreiviertel Leben lang begleiten, wird es allmählich Zeit für ein Treueschwur: Ja ich will! Ich will mehr davon und noch ganz lange. Ich freue mich auf ihre Best-Of-Tour zur Jahrtausendwende mit Shows, die Bruce Springsteen-Länge haben und trotzdem nicht alle Hits enthalten, da der Hallenwart ungefragt das Licht anschaltet. »Die Welt wird knusprig« ist vielleicht nicht ihr stärkster Song auf »Hallo Euphoria«, in dem noch jungen und an Sexyness kaum zu übertreffenden Genre »Deutsche Songs zur Umwelt- und Klimakrise« aber gleich hinter dem All-Time-Klassiker »Naturtrüb«. In beides reinhören!


Rolands Nr. 4:
caroline – caroline
(Rough Trade)

Ist zwar jetzt grad vorbei, aber: ginge stellenweise auch als Weihnachtsplatte durch. Ich hege durchaus ein ambivalentes Verhältnis dazu, denn: Acht Musiker*innen ua. mit Violine, Cello und Harmoniegesang, während Krach zwischendurch sich aufhäuft, funktioniert bei mir einfach gut. Allerdings auch immer wieder ziemlich nerviges Muckertum bei: manchmal weißte halt nicht, übense oder schlimmer – „jammen“ sie noch oder ist das gerade noch ein Stück Song. So zerfällt das Album am Ende immer weiter in so Schring-Schring-Brocken. Weil mich das aber auch in jedem Sinne ein bisschen aufregte, am Ende doch das meist gehörte Album in 22.

Die besten Alben 2022 – Plätze 5

Gregors Nr. 5:
Yard Act – The Overload
(Zen F. C., Island Records)

»Ich hau so gerne in die Saiten! Hauptsache Druck und es ist laut!« (Eszella Garni). Yard Act, das sind fette Stromgitarren aus Leeds, der gerechte Hype des Jahres. In einer halbwegs sorgenlosen (und womöglich pandemiegebeutelten) Zeit produziert. England in der Krise, aber Energie war noch bezahlbar. Womöglich ist die Zeit des schmalen Geldbeutels für das Quartett bereits Geschichte, denn einiges deutet darauf hin, dass zwischen Inflation, Miete Strom und Gas inzwischen Einklang herrscht (Quelle: Klickzahlen, Medienaufmerksamkeit, Hallengröße der Live-Auftritte). Okay so! Ihrer kapitalismuskritischen, linken, dem Hüpfhop verpflichtete Grundhaltung tut das keinen Abbruch. Yard Act sind dichter an den Sleaford Mods, Art Brut und – für die Älteren – Gang Of Four – dran als am Britpop der goldenen 90er. Gehackter Postpunk, wenig Wand und nicht besonders populär ausgearbeitet in der Melodiebewegung, aber dennoch etwas für die Massen. Das Jahr 2022 gehört der Subkultur in Großbritannien. Ich würde sehr gerne wissen, wie sich das in den Clubs und auf den Straßen bemerkbar macht.  


Rolands Nr. 5:
Rosalía – Motomami
(Columbia)

Das produktionsseitig vielleicht interessanteste Album dieses Jahres. Jeder Ausschnitt / einzelne Song führt wahrscheinlich erst einmal in die Irre, bzw. zeigt nicht, was sich da insgesamt hybrid zusammenformt. Mal zuckersüß harmonisch, mal komplett Haudrauf, hier traditioneller Latin, da forciertes Beat-Gewitter undsoweiter und fort. Jedenfalls das Gegenteil von Langeweile.

Die besten Alben 2022 – Plätze 6

Gregors Nr. 6:
Cari Cari – Welcome to Kookoo Island
(Perla Nera Records)

Oha, Musik aus Kookoo Island. Noch so ein Pandemiealbum, diesmal nicht im südfranzösischen Landhaus entstanden (siehe Pink Shabab) sondern im Studio eines österreichischen Nationalparks. Soweit so Kookoo. Die Musik klingt dann auch sehr kookoo: Staub, Schweiß, Surf und Sand, hinlänglich konturgetreuer Throwback-Rock’n’Roll, Summer of Love und viele aufregende What-the-Hell-Momente. Überleben auf einer einsamen Insel, auf der man ganz für sich sein kann. Und über all dem ergießt sich ein euphorischer Gesang, der das ganze Durcheinander zusammenhält. Wer Cari Cari auf der Insel besuchen möchte, sollte unbedingt das Ruderboot nehmen. Und ganz wichtig: Handy zuhause lassen!


Rolands Nr. 6:
Axel Boman – LUZ
(Studio Barnhus)

Axel Boman brutzelt Techno und House auf mittlerer Flamme und würzt mit Ironie – ähnlich wie Freund DJ Koze. Insgesamt eine ziemlich unterhaltsame Suppe also, mehr zum Mitwippen als Abhotten, das kommt auch meinem mittlerweilen Naturell entgegen – um nicht Alter sagen zu müssen, in dem der Job längst über den Club gesiegt hat. (Zeitgleich zum Album LUZ erschien noch ein weiteres (Quest for Fire), das sich spiegelbildlich zu diesem Verhalten soll, ich aber tatsächlich eher als schwaches Echo empfand.)

Die besten Alben 2022 – Plätze 7

Gregors Nr. 7:
Courting – Guitar Music
(Play It Again Sam)

Es steht nicht gut um den Ruf der Gitarre. Öffentliche Bekenntnisse zu den 6 Saiten sind in den letzten Jahren selten geworden, zudem kommt noch eine allgemeine Gitarren-Müdigkeit dazu. Dass das Arctic-Monkeys-Konzert in der Festhalle nach 20 Minuten ausverkauft war, ließ mich aber unlängst an meinem Befund zweifeln. Alles nur Teil meiner Filterblase? Courting sind anders, aber Rockmusik lebt (wovon in diesem Poll noch die Rede sein wird). Wer sein Debütalbum »Guitar Music« nennt, plant keine nebenberufliche Tätigkeit als Steuerberater. Das Bekannteste an dieser Band ist bisher ihr Produzent James Dring (Gorillaz, Lana Del Rey, Blur), mit vier Hits in der Tasche (»Tennis«, »Famous«, »Loaded«, »Jumper«) sind aber bereits vier Zugaben geschrieben. Jetzt fehlen nur noch die Fans.


Rolands Nr. 7:
Florist – Florist
(Double Double Whammy)

Auf ihrem vierten Album binden die Floristen wieder schöne Folkkränze. Was mir besonders gelungen scheint: die zusätzlichen Additionen, hier ein Klavierklimperchen, da ein Zirpen, noch ein Windhauch usw. Das gibt den Songs atmosphärischen Reiz, die letzte Spachtel Farbe, die noch fehlte. Aufgenommen zu Teilen auf einer Veranda. Auf der möchte man, also ich, dann auch gerne mit Ihnen verweilen, schaukelnd die Landschaft betrachtend.

Die besten Alben 2022 – Plätze 8

Gregors Nr. 8:
Dumbo Tracks – Dumbo Tracks
(Italic)

Wechselnde Gäste und große wummernde Bässe – auf Dumbo Tracks findet sich reichlich Indieprominenz, z.B. Julian Knoth (Die Nerven), Roosevelt, Markus Acher (The Notwist), Indra Dunis (Peaking Lights) und DJ Koze. Alle dabei. Das Dubbärchen in mir hat seit langem mal wieder eine honigsüße Wabe in einer subtropischen Baumhöhle entdeckt. Jan Philipp Janzen, Trommler bei Urlaub in Polen (Like), Von Spar (Like) und Die Sterne (Like), bearbeitet die Dub-Sounds mit der richtigen Temperatur. Das ist gerade so aufregend genug, um im Schatten des Kastanienbaumes zu dösen. Ab und zu kommt ein leichtes Windchen auf, das die wundersüß geschwungenen Melodiebögen der Guest Vocals heraufbeschwören. Sollten auch junge Menschen hören.


Rolands Nr. 8:
Cola – Deep in View
(Fire Talk)

Es war einmal die (mir völlig unbekannte) Band Ought, dann gab es sie nicht mehr, sondern, reduziert auf drei, eine neue Band mit dem hervorragenden Namen Cola. Ein Jahr der Gitarre sei dieses Jahr, einigten Gregor und ich uns beim gegenseitigen Best-Of-Tracks-Hören. Und so mag ich meine Gitarren eigentlich auch am liebsten: trocken und melodiös. Ja, aber was ist denn daran besonders? Na nix, sag ich. Ja, alles vielleicht so sehr Strokes-like, egal, und: warum auch nicht? Vor allem: ein echtes Album, d.h. eine spezifische Soundtür wird aufgestoßen, sorgt für Durchug und dann wird sie wieder zugeschmissen, und wumms, fertig ist die Laube.

Die besten Alben 2022 – Plätze 9

Gregors Nr. 9:
Pink Shabab – Never Stopped Loving You
(Karaoke Kalk)

Schwimmen, Spazierengehen, Schräubchen drehen ­– Joseph Carvell alias Pink Shabab machte, was man als Musiker eben machen muss, wenn man das Haus nicht mehr verlassen darf: Er fuhr nach Südfrankreich und produzierte ein lovely Coronaalbum. Ja und nein, irgendwie schon wieder lange her und trotzdem hängt es einem mächtig nach, dieses Schwarze Loch der Pandemie. Der Referenz-Sticker auf dem Cover: »Die 80er sind zurück!« 80ies-Nostalgie findet sich allerdings nur in der Epidermis, was darunter liegt, greift viel weiter. »Never Stopped Loving You« ist ein bunt bemaltes Vogelhaus geworden, Federn flattern, allein die Vögel singen, zwitschern, tirilieren. Ein wohliger Sound mit den richtigen Keyboardanschlägen und Abstechern in die weitere Umgebung von Dance- und House, exotisch und angenehm eigenartig dazu.


Rolands Nr. 9:
Moon Panda – What on Earth
(Fierce Panda)

Das dänisch-amerikanische Duo Moon Panda liefert hier einen klassischen Slow-Burner: einerseits, was das Tempo der Songs selbst, andererseits, was ihre zunehmende Schönheit beim wiederholten Hören betrifft. Das ist kurzfristig und auf’s Einzelne gesehen erstmal wenig spektakulär, aufs Ganze und Dauer allerdings umso verfänglicher. Wohl abgehangene Lieder zum steigernden Wohlfühlen also. Ließ sich etwa gut anwenden an Herbsttagen, als die typisch mittelprächtige Melancholie einsetzte, es einem zwar sad, aber auch nicht zu sad ging – wie so’ne warme Tasse Tee.